Gehirnfluesterer
Verbindungen unterhielt – so zumindest laut Geheimdiensterkenntnissen
– zu einer im Untergrund operierenden Islamistengruppe. Im Juli darauf, an einem heiteren, sonnigen Morgen in London, sprengte
er sich selbst in die Luft. Pünktlich um 8 Uhr 50 explodierte die tödliche Ladung, die er in seinem Rucksack versteckt hatte, und riss ein blutiges Loch in eine Hauptverbindung
der U-Bahn im Londoner Osten.
Eine Wandlung gleichen Musters durchliefen auch die anderen drei Mitglieder der Gruppe: ganz gewöhnliche, unauffällige junge
Männer begannen – vermittelt durch die Kreise, denen sie sich anschlossen –, die Dinge »anders« zu betrachten. Sie sahen die Linien nicht mehr, wie sie wirklich waren, sondern so, wie die anderen
sie beurteilten.
Im Green Room 1
Zusätzlich zur Bedeutung von Menge gibt es ein ganzes Bündel von Faktoren, die Konformität wachsen lassen und den Gruppeneinfluss
verstärken. Dazu gehören, wie Studien gezeigt haben: Gefühle individueller Unfähigkeit und Unsicherheit; eine Gruppengröße
von mindestens drei Personen; Einmütigkeit (die Wirkung nur einer abweichenden Meinung stört den Gruppenprozess empfindlich);
Bewunderung für die Gruppe; keine individuellen vorausgehenden Verpflichtungen; Kontrolle des Einzelnen durch die Gruppe,
Gruppendruck. In Aschs Studie etwa schwanden Übereinstimmung und Konformität deutlich, sobald die Gruppenmitglieder ihre Meinung
nicht mehr im Kreis der Gruppe, sondern sozusagen privat äußerten.
Kommen nun noch ein charismatischer Anführer wie Jim Jones dazu, zudem mangelnde Gelegenheiten, Menschen mit einer anderen
Meinung zu treffen (wofür es weder für die Leute in Guayana noch für Shehzad Tanweer in der Koranschule in Lahore viel Möglichkeit
gab), sowie Einführungsprozeduren, wozu auch die Übernahme immer weiterer Verpflichtungen für die Gruppe gehört – vom Verteilen
von Flugblättern über die Betreuung neuer Mitglieder bis zum Einbezogenwerden in Gruppenentscheidungen, kurz, altbekannte
Techniken des Foot-in-the-Door –, dann landet man schließlich in einer äußerst prekären Situation, in der potentielle Verführer alle Ingredienzien der Gehirnwäsche
zur Hand haben, das psychologische Äquivalent einer »schmutzigen Bombe«.
Aber ist das wirklich alles? Fehlt nicht noch ein wesentliches Puzzleteil? Bedenkt man für einen Augenblick die schiere existenzielle
Abnormität eines Terrorangriffs oder eines massenhaften Kollektivselbstmords, stellt sich die Frage, ob sich Ereignissewie in Jonestown, New York oder London
tatsächlich
mit etwas so Simplem wie Konformität und Gruppendruck erklären lassen. Oder sind noch andere Kräfte am Werk? Etwas Tieferes,
Stärkeres, vielleicht etwas Neurologischeres? Sind die äußerlichen Symptome der Gruppenzugehörigkeit, der persönlichen Anbindung
an die Gruppe stets so kräftig und ausgeprägt, wie von Asch gezeigt? Oder wirkt das Anbindungsvirus unter der Schwelle des
Bewusstseins?
Einen Schlüssel liefert womöglich eine weitere Untersuchung Robert Cialdinis. 2007 haben er und seine Kollegen eine Studie
durchgeführt, die sie vielleicht unsterblich machen wird. Ihre Frage: Wie können Hoteliers das Unmögliche erreichen, nämlich
ihre Gäste dazu bewegen, die Handtücher während ihres Aufenthalts mehrfach zu benutzen? Cialdini wollte herausfinden, wie
eine Botschaft verfasst sein muss, damit ihr die Menschen am ehesten Folge leisten: Sollen sich solche Botschaften mehr auf
deskriptive Normen stützen (nach dem Muster: »Viele Menschen benutzen ihre Handtücher mehrfach.«) oder auf eher konventionelle
Art für umweltbewusstes Handeln werben?
Um das herauszufinden, wurden Karten mit fünf jeweils unterschiedlichen Botschaften nach dem Zufallsprinzip in 200 Hotelzimmern platziert. Später wurden dann die Handtücher ausgezählt. Die fünf Botschaften waren:
Unterstützen Sie das Hotel beim Energiesparen.
Machen Sie mit beim Umweltschutz.
Seien Sie unser Partner beim Umweltschutz.
Helfen Sie mit, die Ressourcen für künftige Generationen zu schonen.
Die meisten unserer Gäste machen mit beim Umweltschutz. Schließen Sie sich an. (75 Prozent der Gäste beteiligen sich an unserem Programm, unsere Ressourcen zu schonen, indem sie ihre Handtücher mehrfach benutzen.)
Welche der Botschaften war Ihrer Meinung nach die wirkungsvollste? Welcher würden Sie selbst am ehesten folgen? SolltenSie auf die letzte tippen, stehen Sie mit
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