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Gehirnfluesterer

Gehirnfluesterer

Titel: Gehirnfluesterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Dutton
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dieser Vermutung nicht alleine. 44   Prozent der Gäste, die diese Karte in ihrem Zimmer fanden, nutzten ihre Handtücher mehrfach. Am unwirksamsten war – Überraschung,
     Überraschung – die Aufforderung, das Hotel beim Energiesparen zu unterstützen. Davon ließen sich kaum sechzehn Prozent der
     Gäste zum Mehrfachgebrauch der Handtücher animieren. Für eine Folgestudie wurde die wirkungsvollste Botschaft leicht abgeändert:
     75   Prozent der Gäste
in diesem Zimmer
beteiligen sich an unserem Programm, unsere Ressourcen zu schonen, indem sie ihre Handtücher mehrfach benutzen. Nun waren
     es sogar 49   Prozent der Gäste, die der Aufforderung Folge leisteten. »Wenn man nicht genau weiß, wie man sich in einer Situation verhalten
     soll, schaut man, was andere Leute machen, und hält sich an die situativen Regeln«, sagt Noah Goldstein, einer der an der
     Studie beteiligten Wissenschaftler.
    Damit sind wir wieder bei Solomon Asch, oder?
    Aber Moment: Vergleichen wir Cialdinis Experiment noch mal genauer mit Aschs Linien-Studie. Gibt es einen Unterschied? Richtig:
     Hier geht es um eine Behauptung, nicht um eine Wahrnehmung. Der Ausgangspunkt bei Cialdini ist kein nachprüfbares Faktum.
     Es mochte wohl sein, dass die Mehrheit der Gäste in Zimmer 320 die Handtücher mehrfach benutzte. Aber man konnte das nicht
     so einfach überprüfen. Anders als bei Asch, wo ein simples Lineal genügt hätte, um die Behauptung zu verifizieren oder zu
     falsifizieren.
    Und es gibt noch einen Unterschied. In Aschs Studie war die Mehrheit tatsächlich anwesend, jede Versuchsperson sah alle anderen,
     konnte ihnen nicht ausweichen. Die anderen übten ihren Einfluss, sowohl physisch wie psychisch, direkt aus. In Cialdinis Studie
     dagegen gab es keine anwesende Mehrheit. Die anderen blieben unsichtbar – und, was noch wichtiger ist, auch die Versuchspersonen
     selbst wurden von niemandem beobachtet. Niemand trat ins Bad und zeigte vorwurfsvoll auf die einmal benutzten Handtücher am
     Boden, die man doch mehrfach verwenden könnte. Präsent war die Mehrheit der anderen nur auf dem Papier. Das ist doch etwas
     anderes, als wenn jemand inFleisch und Blut vor einem steht. Und dennoch konnte diese abwesende Mehrheit die Gäste dazu bringen, die Handtücher nun ihrerseits
     mehrfach zu benutzen.
    Ein faszinierendes Ergebnis. Man kann aus Cialdinis Studie schließen, dass an Konformität mehr dran ist als das, was sozusagen
     ins Auge sticht. Es geht nicht nur darum, ob man als Außenseiter ertappt wird. Es geht weit darüber hinaus und tiefer. Cialdinis
     Studie zeigt, dass Konformität auch in Abwesenheit erzeugt werden kann. Offenbar haben wir tief in uns so etwas wie eine eingebaute
     Abneigung, gegen den Strom zu schwimmen.
    Eine andere Untersuchung geht noch einen Schritt weiter und zeigt, im Rückgriff auf Asch, dass bestimmte Formen der Beeinflussung
     tatsächlich unsere Wahrnehmung verändern können, und dies sehr grundsätzlich. Zudem ist diese heimtückische, bewusstseinsverändernde
     Einflussnahme kein Vorrecht des jeweiligen Establishments – der Großen und Guten, der Leute an der Spitze der Gesellschaft   –, sondern einer völlig anderen sozialen Schicht: der Minderheiten, der Underdogs, derjenigen, die »die Dinge anders sehen«.
    Nachbilder der Beeinflussung
    Die Studien des französischen Sozialpsychologen Serge Moscovici aus dem Jahr 1980 sorgen unter Sozialforschern bis heute für
     Kopfzerbrechen. Moscovicis Ziel war es, das von ihm entwickelte »genetische« Erklärungsmodell sozialer Beeinflussung zu belegen,
     dass nämlich sozialer Wandel eher von unten als von oben kommt, dass er von Minderheiten ausgeht, die das Verhalten der Majorität
     beeinflussen. Und das schaffte er auch.
    Der Schlüssel zu Moscovicis Theorie ist das Modell eines »dualen Prozesses«, der Gedanke, dass sich die Einflussnahme einer
     Minorität nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ von der Einflussnahme der Majorität unterscheidet. Minderheiten,
     so postulierte Moscovici, agieren verdeckt, verändern herrschende Vorstellungen in einer Art kognitivem Bürgerkrieg. DieMajorität dagegen hat, wie Asch gezeigt hatte, eine Agenda anderer Art: Ihr Anspruch besteht nicht darin, uns dazu zu bringen,
     dass wir den Status quo
in Frage stellen
, sondern dass wir ihn
akzeptieren
.
    Moscovicis Theorie im Experiment zu verifizieren war keine leichte Übung. Aber das Beispiel, das er dann präsentierte, sandte
     Schockwellen

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