Geht das denn schon wieder los?
wenn mir wer die Tür aufmacht«, hatte sie gleich zu Beginn unseres Arbeitsverhältnisses gesagt, »sonst komm ick mir vor, wie wenn ick hier heimlich einbreche!«
Hermine Hollweg ist erst seit einem knappen halben Jahr für uns tätig, denn ihre Vorgängerin hatte sich im letzten Sommerurlaub in einen slowenischen Imbissbudenbesitzer verliebt und beschlossen, ihr weiteres Leben in den Dienst der Völkerverständigung zu stellen und die slowenische Speisekarte um ein paar deutsche Spezialitäten zu erweitern. Seitdem stehen auch Buletten, Maultaschen, Wiener Schnitzel und Königsberger Klopse drauf.
Frau Hollweg kommt »ausse Sssone«, nämlich aus Stahnsdorf – das liegt bei Berlin – hat aber »jleich nache Wende rüberjemacht wejen dem Hermann.«
Sie hatte ihren Hermann in Ostberlin kennen gelernt, denn er war Fahrer bei einer Spedition und pendelte ständig zwischen Ost und West. Natürlich war Hermine seine große Liebe, und natürlich würde er sie sofort heiraten, aber sie wisse ja selber, wie schwierig das sei mit Ost und West und der Mauer dazwischen …
Doch dann war die Mauer plötzlich porös geworden und Hermine ganz schnell diesseits derselben aufgetaucht, wo sie unter der angegebenen Adresse einen kleinen Zeitungsladen fand. Er gehörte Hermanns Freund, der immer die Briefe weitergeleitet hatte. Hermann wohnte nämlich mit Frau und drei Kindern in dem großen Mietshaus nebenan.
»Erst wollte ick dem Kerl ja auf die Bude rücken«, hatte Frau Hollweg bei dem Vorstellungsgespräch erzählt, »aba denn hab ick an die Frau jedacht und an die Kinder, die keene Ahnung von irjendwat hatten, und jebracht hätte det allet ja doch nischt! Also bin ick erst zurück nach Stahnsdorf, und denn hab’ ick mich beworben bei so ’ner Reinigungsfirma für Büros, weil Putzen hab ick immer jern jemacht; is so ’n schönet Jefühl, wenn hinterher allet wieder richtig sauber is! Schade nur, det die Pleite jemacht haben. Aber vorher is der Inhaber noch mit det restliche Jeld jetürmt, ick jloobe, den suchen se immer noch. Denn bin ick zu ’ner Freundin nach Heilbronn jezogen, die hatte mit ihr’n Mann zusammen so ’ne Schnellreinigung und suchte wen für die beeden Kinder und den Haushalt, jing ja ooch ’n paar Jahre janz jut, aba denn ham die sich inne Wolle jekriecht, und nu läuft die Scheidung mit dem janzen Krach wegen dem Laden, und die Kinder sind erst mal bei ihre Oma. Ick will aba nich wieda weg von hier, mir jefällt’s in meiner kleenen Wohnung, ihr abjelegtes Auto hat mir die Christine zum Abschied jeschenkt, also ick bin jetzt sogar mobil.«
Ihre Begeisterung fürs Putzen und auch der damalige Entschluss, die Familie ihres Beinahe-Ehemannes zu verschonen, hatten den Ausschlag gegeben. Ich habe noch nie bereut, Hermine Hollweg unser Haus samt Mobiliar anzuvertrauen, auch wenn unsere Meinungen über Fernsehprogramme, Bücher und speziell Musiksendungen im Radio sehr weit auseinander gehen.
»Sie sehn aus wie so ’n Elektroneger!«, stellte sie fest, nachdem sie mich vom Gesicht über die bloßen Arme bis zu den noch nicht bestrumpften Füßen begutachtet hatte. »Aba bei Ihnen isset echt, det merkt man gleich, weil det Braune von so ’ne Sonnenbank is nämlich anders – mehr so gelblich.«
»Es gibt keine Neger mehr, Frau Hollweg, man sagt doch schon lange
Schwarze
oder besser noch
Farbige.
Alles andere ist diskriminierend!«
Sie hängte ihren Mantel in die Garderobe, holte die Kittelschürze aus der Einkaufstasche, zog sie an, und dann drehte sie sich zu mir um. »Und wie jeht det jetzt mit den Kinderbüchern? Da kommen doch überall Neger vor oder Mohren. Ick lese nämlich der kleenen Tochter von meiner Nachbarin immer vor, wenn die mal zum Arzt muss oder zum Arbeitsamt. Soll ick nu sagen ›Zehn kleene Farbige?‹ Denn reimt sich’s ja nich mehr!«
Thema beendet! Frau Hollwegs Argumente sind häufig gar nicht oder nur schwer zu widerlegen. Also holte ich die steinerne Oryx-Antilope aus dem Schrank und stellte sie vor Hermine auf den Tisch. »Ein kleines Mitbringsel für Ihre Sammlung!«
»Ach wie hübsch! ’ne Jämse! Die habe ick noch nich!« Vorsichtig nahm sie die Figur hoch. »Is ’ne orientalische Abart, nicht wahr? Ich wusste janich, dass es die Viecher ooch bei den Scheichs jibt!«
Nein, jetzt bloß nicht lachen! Als Steinbock verkannt zu werden war vielleicht noch verzeihlich, doch nun zu Gämsen mutieren zu müssen hatten diese wunderschönen Tiere nicht verdient. Aus
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