Geht's noch?
Normalerweise reagierte John auf ihre Anrufe gelassener. Cassandra hoffte sehr, diese Frau würde etwas Besonderes sein, denn ihr Sohn brauchte dringend Freude in seinem Leben. Und sie hoffte, dass diese Frau, wer immer es auch sein mochte, eine fest zusammenhaltende Familiengemeinschaft zu schätzen wusste, denn das waren sie auf jeden Fall.
Sie nahm das Telefon wieder in die Hand und wählte die Handynummer ihres jüngsten Sohnes. »Hallo, Ben«, sagte sie, als er sich auf das erste Klingeln hin meldete.
»Hast du mit John schon über das Geld für das Fitnesscenter gesprochen?«, fragte er.
Cassandra seufzte. Sie liebte all ihre Kinder, aber Ben war eindeutig das egoistischste.
»Einen guten Rutsch ins neue Jahr, mein Schatz.« Sie ließ sich auf einem der gepolsterten breiten Sessel
nieder und lehnte sich in das Kissenteil zurück. »Ja, ich habe versucht, mit ihm darüber zu sprechen, aber der Zeitpunkt war ungünstig. John hatte zu tun. Er sagte, er hätte Besuch, und ich glaube, es handelt sich um eine Frau. Wie du weißt, müssen wir deinen Bruder im richtigen Moment erwischen. Er hat im Augenblick einfach zu viel um die Ohren.«
»Ich etwa nicht? Mir könnte die Gelegenheit durch die Lappen gehen«, sagte Ben.
»Nicht an Silvester, Benjamin.« Cassandra wollte ihn nicht offen kritisieren, schließlich hatte er in seinem Leben nie sonderlich viel Glück gehabt, nicht so wie John jedenfalls. »Wie wäre es denn, wenn du selbst mal mit deinem Bruder sprechen würdest?«, fragte sie.
»Er hasst mich, Mom. Nie will er mir helfen, und tut er es dann mal, schiebt er mir die Schuld zu, wenn etwas schiefgeht. Aber dir kann er nichts abschlagen. Konnte er noch nie. Und das ist eine einmalige Chance. Ich fühle es einfach«, sagte Ben in flehendem Tonfall.
Das Herz zog sich ihr in der Brust zusammen. »Ich werde mit ihm reden, sobald sich eine Gelegenheit bietet«, versprach sie.
»Danke. Ich muss los.«
»Ich hab dich lieb. Einen guten Rutsch …«
Die Telefonleitung wurde unterbrochen, bevor sie noch zu Ende sprechen konnte.
Cassandra seufzte erneut. So war Ben halt. Nun, zumindest hatte sie Sabrina und dann Roper erreicht,
ihnen ein gutes Jahr gewünscht und selbst eines gewünscht bekommen.
Sie stand auf und ging ins Haus, um sich für die Party umzuziehen, die sie besuchen wollte. Die zwangsloseste des ganzen Jahres. Ein reines Frauentreffen mit ihren engsten Freundinnen, wo sie das alte Jahr so beenden konnte, wie sie das neue zu beginnen vorhatte.
Ohne ihren Ex-Lover Harrison Smith.
Amy erwachte mit leichten Kopfschmerzen und verschwommenen Erinnerungen an eine schöne Nacht mit einem Mann, den sie einst gar nicht so geschätzt hatte. Sie war froh darüber, sich in ihm getäuscht zu haben. Sie streckte sich, drehte sich um und wäre fast mit dem Gesicht voran von der Couch gefallen, als sie sich plötzlich erinnerte, wo sie sich befand.
Ropers Couch.
Ropers Wohnung.
Dieser Kuss.
»Oh, mein Gott«, stöhnte sie und warf sich einen Arm über das Gesicht.
»Guten Morgen«, sagte er barsch.
Sie spähte unter dem Arm hervor und sah Roper mit einem Glas Orangensaft in der Hand über ihr stehen. »Hi«, brachte sie durch den fussligen Wattegeschmack in ihrem Mund hindurch zustande.
Da sie wusste, dass sie ihm früher oder später ja
doch gegenübertreten musste, richtete sie sich auf und zog sich die Beine vor die Brust. »Ist der für mich?«, fragte sie mit einem hoffnungsvollen Blick auf den kalten Orangensaft.
Er nickte. »Ich dachte mir, dass du bald wach werden würdest.« Er reichte ihr das Glas.
»Frisch gepresst?«
Er verdrehte die Augen. »Das nennt man, sein Glück etwas zu stark zu strapazieren.«
Sie lachte. »Ich wollte nur wissen, wie weit du es mit deinem kulinarischen Talent treibst.« Sie nahm einen Schluck und leerte dann das Glas in zwei tiefen Zügen. »Hmmm. Das hat so richtig gutgetan. Es tut mir leid, dass ich eingeschlafen bin.« Sie konnte sich nur noch daran erinnern, wie sie darauf gewartet hatte, dass er ihr eine Decke brachte, und wie sie seine Verführung plante.
»Mir auch.« Sein durchdringender Blick bohrte sich in ihre Augen.
Sie schluckte hart. »Ich hoffe, es hat dir keine Unannehmlichkeiten bereitet, dass ich hier über Nacht geblieben bin.«
»Wenn man davon absieht, dass ich wach in meinem Bett gelegen habe bei dem Gedanken, dich unpässlich direkt nebenan zu wissen, eigentlich nicht.« Er klang wie ein Mann, der sich zwar als Gentleman benommen
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