Geier (German Edition)
schön weit bis zu dir. Ich bin in der Großstadt.“
Sie wusste wo. „Wenn du die Stunde fährst, könntest du noch was zu naschen haben“, lockte sie. Was natürlich stimmte.
„Meinst du, bis dahin tut sich noch was?“
„Bei mir oder bei dir?“ wollte sie wissen.
„Na, wenn ich die halbe Nacht fahren muss. Weiß nicht, ob der da mitmacht,“ schäkerte ich.
„Ich wette dir einen Tausender, dass er´s tut. Nach spätestens fünf Minuten. Wenn nicht, bekommst du den Tausender. Wenn ja, behalte ich ihn. Den Tausender.“
Ihr Tausender war nie in Gefahr. Sie drückte erst auf die Stoppuhr, dann legte sie los. Nichtmal drei Minuten brauchte sie dazu.
Die Anstrengung und die vorhergehende Nacht im Autositz waren wohl Schuld daran, dass ich erst um zehn herum aufwachte. Von der Küche her war Klappern zu hören, im Hof gackerte irgendwas, und jemand schlug eine Wohnwagentür zu. Ich schaute hinaus und sah, dass die Sonne schon gewaltig herunterknallte. Aber windig war´s – die Fächer der niedrigen Palmen hinter dem Wohnwagenpark wedelten im Wind, und in der Wüste dahinter übten Sandteufelchen Wirbelsturm.
Auf der obersten Treppenstufe einer der Alubüchsen stand ein Radio, aus dem JJ Cales „Cajun Moon“ erklang. Davor drehte sich mit erhobenen Armen die gleiche Hübsche, die ich kürzlich nachts beobachtet hatte. Sie war barfuß und trug ein dünnes, fast bodenlanges Trägerkleid. Fast noch verführerischer als nackt.
„Kleiner – gut geschlafen?“ Ich wusste nie, wann sie mich auf den Arm nahm.
„Habe ich. Und du?“ Misty war zum Anbeißen. Nicht niedlich, sondern schön. Ganz Frau. Begehrenswert. Ich musste sie anschauen, wie sie in ihrer Küche stand, im Sonnenlicht, das durch das große Fenster überm Küchentresen fiel, mit einer Schüssel im Arm und einem Holzlöffel in der Hand. Sie rührte irgendetwas an. Auf dem Küchentresen stand ein Mixer, eine dieser Küchenmaschinen, die rühren, schlagen und verquirlen können, dem Preis nach alles gleichzeitig.
„Was machst du?“
„Chocolate Chip Cookies. Feine Kekschen, damit du wieder zu Kräften kommst.“ Also war sie doch zum Scherzen aufgelegt. Ich grinste sie an und schenkte Kaffee ein.
Die Dinger rochen verdammt gut. Zwölf Minuten auf 350 Grad Fahrenheit, und dann eine halbe Stunde abkühlen lassen. Das war die Qual am Keksebacken. Schon immer gewesen.
Ich erinnere mich an meine Ungeduld, wenn bei uns zu Hause Kekse gebacken wurden. Was nicht allzu oft vorkam. Meine Mutter weigerte sich, die Küche überhaupt wahrzunehmen, und die Mehrzahl der mexikanischen Hausgehilfinnen konnte auf Teufel komm raus nicht backen. Aber kochen konnten sie alle. Sagenhaft. Daher stammt vermutlich meine Vorliebe für mexikanisches Essen.
Ab und zu hatten wir eine, die backen konnte und wollte. Dann gab´s Kekse, und ich stand oft davor und wartete. Meist konnte ich nicht abwarten. Dann fraß ich die Dinger heiß in mich hinein, worauf ich regelmäßig einen gewaltigen, hauserschütternd knallenden Durchfall bekam. Aber ich kannte das Risiko, und oft war mir eine Ladung heißer, frischer Kekse eine anschließende stundenlange Arschtortur wert.
Schokoladenkekse waren mir schon immer die liebsten.
Während wir darauf warteten, dass das erste Backblech abkühlte, besprachen wir den kommenden Tag. Ich wollte wissen, was mit ihr nun los war, nach ihrer Verhaftung, aber ich wollte nicht hier im Haus davon anfangen. Und sie war genauso auf meine Erzählung gespannt. Also beschlossen wir, nach dem Brunch spazieren zu gehen.
Ich zog eine neue daunengefütterte Windjacke an, die sie „zufällig“ bei sich im Wandschrank fand. Ich holte meinen Ballermann aus dem Rucksack, entlud ihn, prüfte, ob er auch funktioniert, schob das Magazin wieder in den Griff und steckte ihn in den Schulterhalfter. Sie schaute mir wortlos zu. Dann packte sie einen kleinen Rucksack. Wasser, zwei Literflaschen Bier, Kekse, ein Metzgermesser und eine halbmeterlange Salami, die sie aus ihrer gekühlten Vorratskammer holte. Spitzenkombination.
Der Wind blies aus dem Süden. Stark, gleichbleibend, wehte Fahrgeräusche vom entfernten Highway bis zu uns herab, trieb Sandkörner in die Haare und zwang dazu, die Augen zu Schlitzen zu verengen. Wir gingen untergehakt über ihren verlassenen Hof, bogen hinter den Wohnwagen nach Nordosten ab und hatten nun den Wind im Rücken.
Sie kannte ihre Ranch. Ich fand, dass alles gleich aussah – überall Sand und graues
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