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Geier (German Edition)

Geier (German Edition)

Titel: Geier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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kniehohes Kroppzeug – aber sie zeigte und erklärte die verschiedenen Sträucher und Kakteen, wies auf Pfotenabdrücke an windgeschützten Stellen hin, die Kojoten, Wildkatzen und Schildkröten hinterlassen hatten, und zeigte mir anhand der niedrigen Erhebungen am Horizont, wie man sich in dieser Einöde orientieren konnte.
    Ich begann, die Faszination zu verstehen, die von der Wüste ausging. Sie hatte viel mit dem Meer gemeinsam. Die Endlosigkeit und vermeintliche Langeweile des immer Gleichen, die sich bei näherer Bekanntschaft als lächerliches Vorurteil erweist.
    Schön hatte sie es hier. Konnte man sich dran gewöhnen.
    „Ich glaube, es wäre an der Zeit, meine Betriebe zu verkaufen“, sagte sie unvermittelt. Ich blieb stehen.
    „Wegen mir?“
    „Nein, Blödmann, nicht wegen dir. Wegen mir. Und wegen Winston, und weil wir eine sagenhaft lange Zeit ungestört unseren Geschäftchen nachgingen. Aber der verdammte Cop in Laughlin hat mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt. Weil der, wie einige andere dort, seit Jahren von uns Schutzgeld kassiert. Und uns jetzt auf einmal nicht mehr schützt. Da ist irgendwas ganz Übles im Busch. Ich will raus, ehe es zu spät ist.“
    Sie stiefelte entschlossen über ihre Prärie, vom Wind getrieben, und wischte sich die Augen. „Sand“, behauptete sie.
    „Was sagen Winston und Sammy dazu?“
    „Verkaufen. Beide. So schnell wie möglich. Ich meine sogar, ich könnte den Laden in Laughlin an Sammy verscheuern. Der würde das nie vorschlagen, weil ich schließlich seine Mandantin bin, aber ich weiß, dass er schon lange ein Auge darauf geworfen hat. Und Winston will wieder nach Jamaika zurück. Der hat genug von Kalifornien, von Amerika. Hat dauernd Heimweh. Also dürfte ein Verkauf, wenn wir uns dazu entschließen, ziemlich schnell über die Bühne gehen.“
    „Und hier – die Ranch? Die willst du doch wohl nicht verkaufen?“
    „Nee, die Ranch nicht. Aber die Wohnwagen müssen weg. Ich habe allmählich ein ganz schlechtes Gefühl. Wenn ich nämlich hier hochgehe, gibt´s Knast. Und nicht zu knapp. Denn du weißt ja; in Kalifornien werden die Moralgesetze inzwischen rücksichtslos angewandt. Ich zahle mich hier zwar auch dumm und dämlich, aber ich fühle mich nicht mehr sicher.“
     
    Stellt sich heraus, dass einer der Kreisräte, dem sie jeden Monat ein kleines Vermögen zusteckt, nach ihrer Verhaftung bei Sammy angerufen hat und Andeutungen über eine FBI-Untersuchung machte. Vor allem regte er an, dass Misty schleunigst ihre Geschäftsunterlagen auf Verbotenes und Peinliches durchschauen soll. Und möglichst viel vernichten. Dem Provinzfürsten, berichtete der Anwalt, ging die Muffe auf Grundeis. Was Sammy natürlich sofort dazu bewegte, Kontakt mit einem seiner vielen Freunde in Washington aufzunehmen. Der hatte sich nun zurückgemeldet, und Sammy hatte sie kurz vor meinem Auftauchen in der Küche heute Morgen angerufen.
    „Sieht nicht gut aus, sagt er. Sein Gewährsmann konnte oder wollte nichts Genaues sagen, aber offenbar läuft irgendeine Untersuchung. Die stürzen sich ja immer wie die Hyänen auf bestochene Politiker. Das ist so ein FBI-Hobby. Und sie bereiten hier irgendwas vor, meinte der Sammyfreund.“
    Wir schwiegen uns an. Der Sand knirschte unter den Schuhsohlen, der Wind pfiff unablässig. Nur Schritte entfernt saß ein Geier mit sturmzerzaustem Gefieder und rupfte an einem Badewannenvorleger. Als wir auf ihn zugingen, stieg er auf, und der Vorleger erwies sich als ein zerfetztes Pelztier.
    „Raccoon?“
    „Kann sein. Oder ein alter Kojote.“
     
    Sie steuerte auf die Hügel zu. Rings um uns wuchsen Joshua Trees, diese übermannshohen „Bäume“, als deren engste Verwandte ein Jahrhundert lang ausgerechnet Lilien galten. Seltsam, denn Joshua Trees sind „hässliche Kerle, deren Kleidung voller Degen und Messer steckt, die abgerissen und zerlumpt daherkommen und dem Christenmenschen Furcht einflößen“, wie ein früher Wüstendurchquerer halluzinierte.
    Ihre verholzten Stämme tragen Arme, die sich zum Himmel recken. Deshalb wurden sie von Mormonen, die das unwirtliche Gebiet auf der Suche nach dem Paradies durchquerten, nach dem Propheten Josua benannt. Von Ferne wirken sie eher wie eine Haderlumpenbande aus dem morgenländischen Märchenangebot.
     
    Sie kannte einen Spalt im Gestein des Hügels, ein sich nach oben verjüngendes Tal. Ich zwängte mich hinter ihr in den engen Slot Canyon – ein schmaler Einschnitt im Sandstein, der vor

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