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Geier (German Edition)

Geier (German Edition)

Titel: Geier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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können.
     
    Dickie kam gegen halb acht in meine Strandhütte, wo ich ihm das Material zur heutigen Sendung aushändigte. Das Zeug liegt in Kisten und steht in Regalen, sämtliche Wände sind voll Schallplatten, Tonbändern, Kassetten und Compact Discs, und das Schwierigste an der Sendung war nicht das Zusammenstellen, sondern das Auffinden.
    Alte Interviews mit Typen, die sich schon längst den Goldenen Schuss gesetzt hatten, waren auf elend langen, langsam zerfallenden Tonbändern konserviert. Als ich beim Collegesender damit begann, Interviews zu sammeln, habe ich aus falsch verstandener Sparsamkeit gebrauchte Tonbänder gekauft. Die waren damals schon kaum noch brauchbar. Jede Menge Arbeit war nötig, ehe die Dinger wieder abgespielt werden konnten. Einmal abgespielt, denn die meisten Bänder waren inzwischen so morsch, dass sich die Magnetschicht löste, auf der die elektronischen Impulse der Tonaufnahme gespeichert waren.
    Wenn beim Abspielen die Übertragung auf ein digitales Medium nicht klappte, war die Information, das Interview, auf immer verloren. Ich hatte zwar schon lange angefangen, alles zu digitalisieren, aber das ist eine Heidenarbeit, die dazu noch Geld kostet, also ließ ich´s dümpeln, wo ich nur konnte.
     
    „Du hast mir meinen Scheck versprochen“, nörgelte der dicke Dickie, als ich ihn zur Tür hinausschieben wollte.
    „Stimmt, Schatz, aber ich bin heute leider etwas blank. Ich bringe dir am Mittwoch die Kohle bar in den Sender – bis dahin werde ich wohl wieder was eingenommen haben.“
    Man musste ihn nur nett anlächeln, ein Klaps auf den heute rotseidenen Hintern half auch. Dickie strich sich nachdenklich über die Glatze und ging dann doch ganz friedlich zu seinem Auto.
     
    Die im Pazifik untergehende Sonne erinnerte mich an Dickie´s Hintern: Farbe und Rundung stimmten.
    “Quatschkopf”, murmelte ich mir selbst zu, holte noch ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich vor meine mobile Behausung. So ein Sonnenuntergang ist doch sagenhaft. Rote Streifen am Horizont, rot reflektierende Wellen, schattenartige Spaziergänger auf dem Strand vorm Meer.
    Julie fehlte mir. Ich zerdrückte in der Rechten die leere Aludose, warf sie in die Altmetalltonne und ging schlafen.

     

5 Schüsse
     
     
    Den Dienstag verbrachte ich unter meiner Harley. Ich habe doch seit Jahren eine 1959er Harley FLH Duo-Glide, genausoeine wie Elvis hatte, noch ziemlich original, mit der türkisbeigefarbenen Lackierung und dem vielen Chrom an Chassis, Aufbau und dem 1,2-Liter Zweizylinder.
    Die Harley ist zwar wunderschön, läuft aber wie ein Traktor, und wenn ich sie fahren will muss ich erst schrauben. Weshalb ich sie selten vor Mai wieder aufmotze, denn ich fahre am liebsten von Juli bis kurz vor Weihnachten. Eigentlich am allerliebsten von Ende September bis Mitte Dezember – da ist die kalifornische Küste ruhig, die Touristen sind wieder zu Hause, das Wetter ist unvergleichlich. Kein Nebel mehr, sonnige, klare Tage, meist windstill und warm.
    Da macht Harley Laune. Da grüßen Trucker mit erhobenem Daumen, sprüht der blanke Neid der Kombifahrer, da spürt man den Hass, der einem aus Vans entgegenschlägt und genießt die Ungebundenheit umso mehr.
    Was sonst durchaus nicht immer der Fall ist. Allein ist ja oft ganz lustig, aber auf die Dauer macht die Ungebundenheit doch Angst. Wer will schon alleine alt werden. Oder mit der falschen Frau. Wen lernt man noch mit vierzig kennen? Oder fünfzig?
     
    Ich lag also unter der Harley, schraubte an ihrem mäkeligen Getriebe herum und versuchte, Gedanken übers Altwerden zu verscheuchen. So gegen halb vier zog ich mit dem Drehmomentschlüssel die letzte Mutter fest, wusch Hände und Arme, zog eine saubere Jeans an, ein frisches Hemd, die schwarzen Cowboystiefel mit dem blauen Schlangenledereinsatz und machte meine Probefahrt.
    Das ist das Schönste an der Schrauberei – die anschließende Feststellung, dass es was gebracht hat. Über den Freeway nach Paso Robles fuhr ich, von dort über den Bergrücken nach Cambria und den schmalen, gewundenen Highway One nach Morro Bay und San Luis Obispo. Über mir zog alle paar Minuten einer der unzähligen Linienflüge Kondensstreifen im tiefblauen Himmel – von Menschenhand gemachte Wolkenstreifen, schnurgerade, denen man von der einen kalifornischen Großstadt zur anderen folgen kann. Bei Sonnenuntergang, wenn das Licht genau richtig strahlt, leuchtet die Himmelsautobahn wie ein gewaltiges rosa Tennisnetz.
     
    Die

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