Geier (German Edition)
Dann tue du das. Winston und ich müssen mal weg – wahrscheinlich den ganzen Tag. Also sehen wir uns heute Abend oder morgen im Laufe des Vormittags.“
Okay. No problem. Ich ging hoch, holte mein Zeug, und verabschiedete mich von den beiden.
Ich verbrachte den Tag in der Laughliner Stadtbibliothek. Kam vom Hundertsten ins Tausendste. Denn die öffentliche Bücherei des Kleingeldparadieses war unglaublich reich bestückt. Kein Wunder bei dem Steueraufkommen. Die 10,000-Seelen-Gemeinde, fand ich bei meinem Lesetag heraus, nahm viele Millionen an Gewerbesteuern ein. Alles durch die Zockerei. Die konnten kaufen, was sie wollten, und hatten noch immer Geld übrig. Eine sagenhafte Steuerquelle, der Spielbetrieb. Dazu noch die Bettensteuer, und Laughlin war auf ewig autark.
Ja, und von Wirtschaftsdingen erfuhr ich mehr, als ich kapieren konnte. Stellte sich heraus, dass mich Gesellschaftsrecht interessieren müsste, wenn ich verstehen wollte, was die Morenos so trieben. Dass das Restaurant eine ideale Scheinfirma war, die offenbar dazu noch ihr Geld einbrachte, machte alle anderen Unternehmungen umso interessanter. Also vertiefte ich mich in die verschiedenen Gesetzestexte und ihre Auslegungen. Denn unser amerikanisches Recht beinhaltet bekanntlich Bundesgesetze und die Gesetzgebung der einzelnen Bundesstaaten – und oft stehen die beiden im Konflikt, zumindest auf Kriegsfuß. Ich paukte und paukte, machte mir Notizen, Hinweise und legte eine Bibliografie an, denn je tiefer ich mich einarbeitete, umso undurchsichtiger wurde es.
Ich schenkte mir das Mittagessen, wühlte mich durch den Nachmittag und rief gegen sechs Karl an. Der hatte von Misty noch nichts gehört, richtete mir aber aus, dass der Polizeisergeant von heute früh nach mir gefragt habe. Und ich möchte ihn doch unbedingt morgen früh im Revier anrufen oder, besser noch, aufsuchen. Klar. Einen Scheißdreck werde ich tun. Ich trug Karl auf, den Anwalt zu finden und ihn zu bitten, mich auf meiner Handynummer gleich zurückzurufen.
„Gutman, wie isses? Sammy hier – German Karl hat mir gesagt, ich soll Sie anrufen?“
„Sammy, ich kann Misty nicht erreichen und muss unbedingt mit Ihnen sprechen. Darf ich das heute noch?“
„Na, klar, kommen Sie vorbei. Oder wo sind Sie denn jetzt? Bibliothek? Komme ich hin. Warten Sie auf mich.“ Er ratterte wie ein Maschinengewehr. Vermutlich, um keine Zeit zu verschwenden. Time ist bekanntlich money.
Sammy legte den Hörer auf und ich überlegte mir, dass mich der Anruf sehr wohl meinen ganzen Spielgewinn kosten könnte. Denn Misty hatte angedeutet, dass Anwalt Sheerstein unverschämt teuer, aber dafür unübertroffen war.
Keine zehn Minuten später rauschte er durch die Lesesaaltür. Weg da, jetzt komme ich. Fliegende Jackenschöße, Krawatte über der wattierten Schulter und in der Linken schwang er eine speckige Ledertasche, die vermutlich schon seinem Großvater gehört hatte. Er knallte die Tasche auf den Tisch, drehte sich zur Bibliothekarin um und zischte sie doppelt so laut und feucht an, wie sie ihn gerade angezischt hatte.
„Wo brennt´s?“
„Sergeant Conaway gibt sich die Ehre, mich zur morgigen Befragung in seine Räume in der Stadtmitte einzuladen, und ehe ich seiner RSVP-Aufforderung nachkomme, muss ich erst mal Ihren Rat haben. Denn ich bin tot, und wenn der das rauskriegt, und das tut er, bin ich tot UND im Loch.“
Der Anwalt strahlte. So was mögen Rechtsverdreher, da geht ihnen einer ab. Seine Äuglein leuchteten richtig, als er um „vollständige, rückhaltlose Erklärung“ bat. „Aber nicht hier. Wir gehen in mein Zweitbüro.“
Das, stellte sich heraus, war ein Schuppen namens Girls, Girls, Girls. Jedenfalls stand das in blutrotem Neon auf dem meterhohen Schild über dem einstöckigen Flachbau in einer der Nebenstraßen unten am Fluss. Die Ambiance war hinterasiatischer Reiterhordenpuff; dunkelrote Funzeln machten jeden Schritt zum Abenteuer, putzig um niedrige Messingtische platzierte marokkanische Kamelsättel sollten wohl die Getränkepreise rechtfertigen, und überall im endlosen Schuppen waren fassartige Minibühnen verteilt, auf denen sich Nackte an Chromstangen vergnügten. Die einen rieben und stöhnten, die anderen stöhnten nur, und alles wackelte zu lautem Jazz. Der war allerdings von erster Güte. Duke Ellington, Dizzy Gillespie und Oscar Peterson, zwischendurch etwas von Django Reinhardt und Sidney Bechet, dann wieder Knallhartes von Thelonious
Weitere Kostenlose Bücher