Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)

Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition)

Titel: Geiseldrama in Dribbdebach (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Demant
Vom Netzwerk:
vergessen. Außerdem war ihm ja selbst auch ein bißchen mulmig zumute gewesen.
    Dragoslav Popic war einer der ersten, die sich wieder am Dasein erfreuen konnten. Seine nach Kreativität schreiende Künstlernatur ließ ihn wie einen Besessenen in dieser für das Sachsehäuser Käsblättche Geschichte machenden Epoche die Feder führen. Gedanklich hatte er den Egon-Erwin-Kisch-Preis schon voller Genugtuung entgegengenommen. Äußerlich war er zwar ruhig, doch innerlich stolz wie Oscar. Apropos Oscar, vielleicht ließ sich jener ja auch noch abgreifen. Zum Beispiel als bestes Drehbuch, wenn sein Thriller-Artikel erst einmal verfilmt war. Und wenn er sich selbst spielte, auch noch als bester Nebendarsteller. Wieso eigentlich Nebendarsteller? Hauptdarsteller. Nun war Popic vollends auf den Geschmack gekommen, und es gab kein Halten mehr, denn den Oscar für die beste Filmmusik sollte man nicht so einfach der Konkurrenz überlassen, immerhin war er Anno Tobak nicht umsonst der beste Blockflötenspieler seiner Klasse gewesen.
    „Uff, das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Ich werde auch nie mehr sagen, mir sei langweilig“, versprach Uzi.
    Man braucht nicht eigens zu erwähnen, daß Herr Schweitzer dem voll und ganz zustimmte. Ja, er war sogar geneigt, ein Gelübde abzulegen, das besagte, daß er von Stund an grundsätzlich nichts mehr langweilig finden werde, daß er jeden Tag, der ihm noch blieb, in vollen Zügen genießen werde, sobald nur dieses Martyrium endlich vorüber war. Für einen so sensitiven Menschen wie ihn ist das auf Dauer nichts.
    Ludger Trinklein sorgte dafür, daß die Sichtblenden wieder vor die Scheibe gefahren wurden, denn er sagte sich, nicht ganz frei von Aberglauben, die offene Sicht sei erst der Anlaß für die versuchte Okkupation gewesen. Das war natürlich nicht der Fall. Aber trotzdem.
    Oma Hoffmann nahm wieder ihre Handarbeit auf. Johnny bediente sich an seinem Flachmann und Kogyo kuschelte sich an Yoko.
    Der tote General, der sich nun aufgrund seines Zustandes nicht mehr für die Achtelfinalniederlage gegen Alle uff aamal rächen konnte, und die als Clou gedachte, aber gescheiterte Geiselbefreiung waren der Moral wenig zuträglich. Als dann noch die Bemerkung des Bankräubers „Das war wohl nix“ über die eingeschaltete Lautsprechanlage zu hören war, sank der Rest der Einsatzleitung – der General war ja aus dem Rennen – allegorisch in sich zusammen. Selbst der stets an sich und seine Gaben glaubende Oberkommissar Kaschtaschek stierte wie ein Fieberkranker mutlos aus dem Fenster und wünschte sich weit fort in ein Land hinter dem Regenbogen.
    Nach dem Schuß war er als erster in das Badezimmer gestürzt und hatte sich sogleich ins Waschbecken übergeben müssen. Ohne allzusehr ins blutrünstige Detail zu gehen, sei gesagt, daß der Grundton des vormals in Unschuldsweiß getünchten Raumes nunmehr Rot war. Ursache für den imposanten Farbwechsel war des Generals Blut. Ursache für die Menge wiederum war das Kaliber der Waffe, die sich im Fallen nach getaner Arbeit gegen die rosa Klobürste gelehnt hatte. Bei der Bundeswehr und auch bei fast allen anderen Armeen dieser Welt war es Usus, daß mit dem Rang auch das Kaliber stieg. So gesehen war der Rangunterschied auch noch im Selbstmord anschaulich zu belegen. Bei einem einfachen Gefreiten hätte man unter Umständen tagelang nach einem Einschußloch suchen müssen. Ach ja, für alle Kritiker des Militärs: Gehirnmasse besaß der General auch, aber die Einzelheiten ersparen wir uns jetzt. Steht alles im Untersuchungsbericht.
    Dem Ehepaar Blau, obwohl die Faszination des Grauens einen gewissen Reiz auf sie ausübte, schmeckte der Selbstmord überhaupt nicht, denn notgedrungen kamen immer mehr Leute zur Ausübung ihres Berufes in ihre Wohnung. Ein völlig sinnloser Notarzt, Staatsanwalt, Polizeifotografen, ein arrivierter Sekretär des Verteidigungsministers, Leichentransporteure und viele, viele andere gaben sich sozusagen die Klinke in die Hand. Den meisten war das Geiseldrama, das sich nur wenige Meter von ihnen entfernt abspielte, ehrlich gesagt schnurz.
    Da die menschliche Natur so eingerichtet ist, daß seelischer Schmerz oft auch den verwegensten Recken darniederwirft, war es auch nicht weiter verwunderlich, den Fastbronzemedaillengewinner Kai Sender wie ein Häufchen Elend, flennend, jammernd und Haare raufend auf einer Treppenstufe im Hausflur vorzufinden. Mit dem General hatte er Mentor, Lehrer und Ersatzvater verloren und

Weitere Kostenlose Bücher