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Geisterbahn

Geisterbahn

Titel: Geisterbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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anstarrte. Mit einer Ausnahme waren diese wundersamen und unglaublichen Geschöpfe lebende und atmende menschliche Freaks, bei denen ein normaler Geist und Verstand in einem verqueren Körper gefangen war: die dickste Frau der Welt, der Alligatormann mit drei Augen, der Mann mit drei Armen und drei Beinen, die bärtige Dame und (wie der Ausrufer zwanzig oder dreißig Mal pro Stunde verkündete) andere mehr.
    Nur eine dieser Kuriositäten lebte nicht mehr. Man fand sie in der Mitte des Zelts, auf halber Strecke des gewunde nen Weges, in der schmalsten der Boxen. Das Ding lag in einer Formaldehydlösung in einem sehr großen, eigens dafür geblasenen, durchsichtigen Glasbehälter. Das Becken stand auf der Plattform - auf einen Stuhl wurde hier verzichtet - und wurde von oben und hinten dramatisch ausgeleuchtet.
    Diesem Behälter näherte sich Conrad Straker an jenem Montag nachmittag in Clearfield. Er stand an dem Tau, das die Zuschauer zurückhielt und an dem er schon Hunderte von Malen gestanden hatte, und betrachtete bedauernd seinen schon lange toten Sohn.
    Wie in den anderen Boxen befand sich auch hinter diesem Ausstellungsstück ein Schild. Die Buchstaben waren groß und leicht zu lesen.
    VICTOR >DER HÄSSLICHE ENGEL<
    Dieses Kind, von seinem Vater Victor genannt,  wurde 1955 als Sohn normaler Eltern geboren.
    Victors geistige Fähigkeiten waren normal.  Er hatte ein süßes, bezauberndes Wesen.
    Er war ein lachendes Baby, ein Engel.  Am Abend des 15. August 1955 hat Victors Mut ter, Ellen, ihn ermordet.
    Sie wurde von den körperlichen Missbildungen  des Kinds abgestoßen und war überzeugt, daß er ein böses Ungeheuer war. Sie war nicht imstande, die spirituelle Schönheit in ihm zu sehen.
    Wer war in Wirklichkeit der Böse?  Das hilflose Baby? Oder die Mutter, der es vertraut, die Frau, die es ermordet hat?
    Wer war in Wirklichkeit das Ungeheuer?  Dieses arme, gepeinigte Kind? Oder die Mutter, die sich geweigert hat, es zu lieben? Urteilen Sie selbst.
    Conrad hatte den Text dieses Schilds vor fünfundzwanzig Jahren geschrieben, und damals hatte es seine Gefühle genau ausgedrückt. Er hatte der Welt sagen wollen, daß  Ellen eine Kindesmörderin war, ein skrupelloses Ungeheuer; er wollte, daß die Leute sahen, was sie getan hatte, und sie wegen ihrer Grausamkeit schmähten.
    Während der Nebensaison blieb das Kind in dem Behälter bei Conrad in seinem Haus in Gibsonton, Florida. Den Rest des Jahres über reiste es mit Yancy Barnets Kuriositä tenkabinett, ein öffentlicher Beweis für Ellens Heimtücke.
    In jeder neuen Stadt kam Conrad, sobald der Mittelgang wieder aufgebaut worden war und die Tore bald für die Öffentlichkeit geöffnet werden würden, in dieses Zelt, um sich zu überzeugen, daß das Gefäß unbeschadet transportiert worden war. Er verbrachte ein paar Minuten in der Gegenwart seines toten Jungen und bekräftigte stumm seinen Racheschwur.
    Victor erwiderte den Blick seines Vaters mit großen, blicklosen Augen. Früher einmal war das Grün dieser Augen hell und leuchtend gewesen. Früher waren es aufmerksame, neugierige Augen gewesen, über ihre Jahre hinaus voller kühner Herausforderung und Selbstvertrauen. Aber jetzt waren sie schal und stumpf. Das Grün war nicht mehr halb so strahlend, wie es im Leben gewesen war; mit den Jahren hatten der Formaldehyd sie ausgebleicht und die erbarmungslosen Prozesse des Todes die Iriden milchig werden lassen.
    Nachdem sein Hunger auf Vergeltung erneuert worden war, verließ Conrad das Zelt und kehrte zur Geisterbahn zurück.
    Gunther stand bereits in der Maske und den Handschuhen von Frankensteins Ungeheuer auf der Plattform neben dem Tor, durch das man gehen mußte, um zu den Gondeln zu gelangen. Er sah Conrad und begann sofort mit seinem Tanz für die Kunden, bei dem er schnaubte und um sich schlug.
    Ghost war im Kartenhaus, brach Rollen mit Vierteldollarmünzen, Zehn- und Fünfcentstücken auf und kippte das Kleingeld in die Kasse; seine farblosen Augen waren mit den flackernden, silbernen Abbildern der fallenden Münzen gefüllt.
    »Sie wollen das Tor eine halbe Stunde früher öffnen«, sagte Ghost. »Es haben schon alle aufgebaut, und draußen soll sich bereits eine beträchtliche Menge eingefunden haben.«
    »Es wird eine gute Woche werden«, sagte Conrad.
    »Ja«, erwiderte Ghost und fuhr mit einer schlanken Hand durch sein spinnwebähnliches Haar. »Ich habe dasselbe Gefühl. Vielleicht kriegst du sogar Gelegenheit, diese Schuld

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