Geisterblumen
den Boden. Bains Zettel und die Nachricht von Colin rutschten heraus.
Ich hob sie auf und hielt sie nebeneinander, schwankte zwischen Hoffnung und Furcht. Die
Schrift auf dem Zettel, den Ellie mir gegeben hatte, kam mir bekannt vor, aber nicht, weil ich die von Colin schon einmal gesehen hatte … sondern, weil es
dieselbe
war wie auf Bains Zettel.
Der Zettel von Colin war gefälscht. Und trotzdem hatte er so getan, als wollte er mit Ro zusammen weggehen.
Mit einem Mal fügten sich alle Teile mit schmerzlicher Präzision ineinander. Und bei jedem Klick ertönte derselbe Name.
Bain.
Es war seine Schrift auf der gefälschten Nachricht. Er vermisste seine Uhr. Er war der Letzte gewesen, der Liza an jenem Abend gesehen hatte.
Bain, der jetzt in meiner Schlafzimmertür stand und mit einer Taschenlampe auf seine Handfläche schlug.
»Du hast also ein bisschen nachgeforscht«, sagte er.
Ich wickelte mich fester in das Handtuch und lehnte mich an den Schreibtisch. Ich wollte furchtlos wirken, konnte aber kaum das Zittern meiner Knie unterdrücken.
»Nicht absichtlich. Du hättest deine Spuren besser verwischen sollen, wenn du nicht entdeckt werden wolltest.«
»Und was, glaubst du, hast du herausgefunden?«
Spiel auf Zeit
, sagte ich mir. »Du wusstest, dass deine Cousine und Colin zusammen waren?«
»Colin hat es mir erzählt. Er hat mir erzählt, wie verliebt er in Aurora war und wie ihr euch heimlich Nachrichten geschrieben habt, damit Großmutter nichts merkt. Er war mein Freund. Das hat sich natürlich geändert, nachdem Aurora verschwunden war.«
»Also hast du Colins echten Zettel durch deinen eigenen ersetzt, nach dem sich Ro mit ihm am alten Billigladen in einer ziemlich verlassenen Gegend treffen sollte. Wie bin ich?«
Er wog die Taschenlampe in der Hand. »Nicht übel.«
»Dann schenkst du James Jakes – J. J. – deine Uhr, damit er deine Cousine dort abholt, während du bei der privaten, kleinen Party, die du kilometerweit entfernt in deinem Modellhaus gibst, ein sicheres Alibi genießt.«
Er beugte sich interessiert vor. »Du bist richtig gut.«
»Aus irgendeinem Grund fährt Aurora aber nicht dorthin, wo du sie haben willst, sondern bringt deinen Plan durcheinander und taucht stattdessen selbst auf der Party auf. Das kann dich aber nicht bremsen. Irgendwie gelingt es dir, Ro und Liza in den Weinkeller zu sperren. Dann rufst du J. J. an und sagst, er solle Ro entführen, während du dich für alle sichtbar mit ihrer besten Freundin unterhältst.«
Er nickte langsam. »Wenn du es sagst, klingt es richtig spannend.«
»Was bedeutet, dass du Liza als Letzter gesehen hast, bevor sie vom Three-Lovers-Point gesprungen ist.«
Er richtete sich auf. »Was? Nein.«
»Und einige Monate später stirbt dein Komplize aus dieser Nacht, nämlich J. J., an derselben Stelle. Er trägt deine Uhr. Klingt ein bisschen verdächtig.«
»Whoa.« Er hob die Hand. »Erstens, was immer Liza zugestoßen sein mag, J. J. hat Selbstmord begangen. Du kannst die Polizei fragen. Zweitens hätte ich ihm die Uhr ausgezogen, wenn ich dabei gewesen wäre. Das habe ich auch der Polizei gesagt. Großmutter macht mich doch ständig verrückt damit.«
Ich musste zugeben, das klang plausibel. »Weshalb sollte er für dich Ro entführen?«
Bain setzte sich auf mein Bett und entspannte sich. Er legte die Taschenlampe weg und lehnte sich zurück, die Handflächen auf die Bettdecke gestützt. »Ich brauchte das Geld. Ich hatte in einigen Casinos Pech gehabt und auch bei privaten Spielen … Sieh mich nicht so an; du erinnerst mich an meine Schwester.« Dann beugte er sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und sah auf einmal ernst und vertrauenswürdig aus. »Du guckst, als wäre es etwas Schlimmes gewesen, aber es sollte alles sehr professionell ablaufen. J. J. wollte ihr nicht weh tun, sie nur ein paar Tage bei sich behalten, das Lösegeld von meiner Großmutter kassieren und sie wieder abliefern.«
Mein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Kein Wunder, dass Aurora weggegangen ist.«
Er biss die Zähne zusammen. »Vermutlich hätte es ihr gut getan. Sie war wild, völlig außer Kontrolle geraten. Es hätte sie vielleicht so sehr erschreckt, dass sie wieder zu sich gekommen wäre.«
Ich schüttelte verwundert den Kopf. »Klar,
sie
ist ja die Verrückte in der Familie.«
»Ich sag dir mal was, du hast überhaupt keine Ahnung von meiner Cousine. Sie war ungehorsam um des Ungehorsams willen. Sie hätte alles
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