Geisterblumen
tauschen, die ihr gefallen würden: Einmal war es eine Mango, dann eine Flasche süßer Mandelmilch, eine nach Rosen duftende Seife, die ich auf der Toilette eines teuren Restaurants geklaut hatte, einen Zahnstocherspender in Form eines Pinguins, die Kühlerfigur eines Cadillac, einen Glasstern an einer Angelschnur. An einem Tag fand ich bei meiner Suche im Park eine Klobrille, an deren Deckel von innen ein Spiegel klebte. Darüber hatte jemand
Hallo, Hübsche!
geschrieben. All diese Schätze befanden sich auf einem Sims neben ihr, zusammen mit einer Puppe, der ein Arm fehlte, und einem Elfenbeinkamm. Ein Museum der Erinnerung. Die meiste Zeit aber blieb ich bei ihr und erzählte Geschichten von Prinzessinnen und Abenteurern, wie eine Scheherazade für Arme, die hoffte, mit Geschichten ihr Leben zu retten.
An dem Tag des Spiegelfunds überraschte Nina mich. Als sie ihre Augen aufschlug, sagte ich: »Ich weiß eine neue Prinzessinnen-Geschichte.«
Doch sie schüttelte den Kopf. Ich sah die kleine Furche zwischen ihren Brauen, die mir verriet, dass sie wirklich angestrengt nachdachte. »Woher wissen die Prinzessinnen Bescheid? Wenn sie schlafen, woher wissen sie dann, dass der richtige Prinz sie küsst, so dass sie aufwachen können?«
»Sie wissen es einfach.«
»Aber fühlen sich nicht alle Küsse gleich an? Einfach schön?«
»Nicht alle Küsse sind schön.«
»Du glaubst also, es gibt einen Unterschied.«
»Den muss es geben.« Ich wollte nicht eingestehen, dass ich zu wenig Erfahrung hatte, um es zu wissen.
Sie schloss die Augen, und ich dachte, sie würde wieder einschlafen. Doch sie sprach weiter. »Du musst gehen.«
»Wohin denn? Was brauchst du? Saft?«
»Geh«, sagte sie. »Du weißt wohin.«
»Ich kann nirgendwo hingehen. Ich habe nichts außer dem hier.«
»Doch«, beharrte sie und öffnete die Augen. Sie versuchte, sich von ihrem Bett zu erheben, das ich aus grünen Sofakissen aus weichem Kordstoff und Snoopy-Decken gebaut hatte, um ihre zerbrechlichen Knochen und die rasiermesserscharfen Ellbogen zu schützen, die die Haut zu durchdringen drohten. »Das haben wir beide.«
Ich tat, als wüsste ich nicht, wovon sie sprach.
»Nein«, sagte ich. Flehte. Bettelte. »Noch nicht. Du kannst noch nicht gehen. Du weißt nicht, was aus der Prinzessin geworden ist.«
Sie drehte den Kopf zu mir und lächelte.
»Doch«, hatte sie geflüstert und die Augen geschlossen.
Und ich öffnete sie wieder, mit N. Martinez an meiner Seite. »Sie ist gestorben. Nina ist gestorben. Ich habe versucht, sie zu retten, und konnte es nicht.«
Er saß neben mir und schwieg, und das war besser als alle Worte.
»Sie war meine Schwester in der dritten Pflegefamilie, bei Mrs Cleary. Sie kam, als ich schon etwa sechs Monate dort war. Mrs Cleary war eine Witwe, nur ich wohnte bei ihr. Sie hatte einen älteren Sohn, er war um die dreißig, und kam immer wieder zu Besuch. Anfangs war ich nervös, aber er hat mir nie etwas getan.« Ich schluckte. »Ich hab es erst herausgefunden, als Nina kam.«
Wer würde einer kleinen Hure wie dir schon glauben?
Es war wie ein Echo aus der Vergangenheit.
Da sagte N. Martinez, als hätte er meine Gedanken gelesen: »Du hast Nina also gerettet.« Eine Feststellung, keine Frage. »Warum bist du nicht zur Polizei gegangen?«
»Er
war
die Polizei.« Wir schwiegen, bis ich weitersprach: »Durch Nina habe ich meinen Glauben an Familie wiedergefunden.« Damit beantwortete ich auch die zu erwartende Frage, weshalb ich mich auf einen Plan wie den von Bain und Bridgette eingelassen hatte. »Aber an eine Familie, die man
selbst
auswählt. Darum bin ich hergekommen. Als falsche Aurora. Ich dachte, ich könnte mir auf diese Weise eine eigene Familie aussuchen. Und ausgesucht werden.«
»Und war es so?«
»Ich weiß es nicht. Kommt drauf an. Werden Sie erzählen, was Sie über mich herausgefunden haben?«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich sehe keinen Grund, warum jemand davon erfahren sollte. Jedenfalls nicht von mir. Jedenfalls nicht jetzt.«
Ich drehte mich um und sah ihn an. Sah ihm in die Augen. Und es war, als würden wir einander zum ersten Mal sehen. Mein Herz flatterte in meiner Brust wie ein Schmetterling. »Danke. Warum?«
Er holte tief Luft. Seine Augen ruhten auf mir. »Wildfeuer. Deshalb riecht es so nach Rauch. Wir hatten einen trockenen Winter, das Gestrüpp ist wie Zündholz.«
Ich konnte meinen Blick nicht von seinem Gesicht abwenden. »Sind die anders als andere
Weitere Kostenlose Bücher