Geisterblumen
Verfolgt
E s ist nicht wie Aufwachen. Es ist, als tauche ich aus dem Schwimmbad
im Country Club auf,
denkt sie
, als würde ich aus der unergründlichen Stille des Wassers in die feuchte, ein wenig nach Schimmel riechende Luft emporsteigen, die schwer über mir hängt.
Nur ist das hier nicht das Schwimmbad, es ist auch nicht der Country Club. Ihre halbgeöffneten Augen wandern langsam über verschiedene Gegenstände, das dünne, graue Abendlicht sickert durch die halbgeschlossenen Vorhänge zu ihrer Rechten, immer wieder streichen Scheinwerferkegel über die Decke, ihre Zehen in den High Heels weit von ihr entfernt, am Fußende des Bettes, dahinter die verschwommenen Umrisse der Kommode, darauf ein Spiegel.
Von draußen dringt das ferne Summen des Verkehrs herein, von irgendwo näher das stotternde Brummen einer müden Klimaanlage.
Sie ist unglaublich durstig. Ihre Kehle ist trocken und kratzig, und ihre Zunge fühlt sich an, als wäre sie zwölfmal zu groß für ihren Mund.
Erinnerungen kommen und entgleiten ihr wieder wie das Scheinwerferlicht an der Decke – sie suchen nach jemandem, vergeblich, rote Bremslichter am Straßenrand, ein kraftvoller Motor heult auf und setzt in ihre Richtung zurück.
Erst in diesem Moment spürt sie die Angst in sich. Es ist der Gedanke an das Auto,
der ihr Herz schneller schlagen lässt; sie spürt, wie sich etwas in ihrer Brust zusammenzieht.
Steh auf,
sagt eine Stimme in ihrem Kopf plötzlich drängend.
Du musst aufstehen und von hier verschwinden, bevor er zurückkommt.
Wer? Wer denn?,
fragt sie, findet aber keine Antwort, nur plötzlich dieses Gefühl, dass sie fliehen muss. Jetzt.
Sie setzt sich auf – zu schnell –, und eine Welle aus Schmerz und Übelkeit schlägt über ihr zusammen. Sie fällt auf die schweißgetränkte Tagesdecke zurück, holt dreimal flach und keuchend Luft, atmet dann tiefer und konzentrierter.
Sie schluckt schwer – Gott, dieser Durst – und versucht noch einmal, sich aufzurichten. Diesmal rutscht sie bis zur Bettkante und geht es langsamer an.
Wieder ein schwindelerregender Moment. Doch er vergeht, und als sie wieder klar sehen kann, sieht sie sich einem Mädchen im Spiegel gegenüber. Sie selbst, das muss sie selbst sein, denn außer ihr ist niemand im Zimmer. Aber das Mädchen, das sie sieht, hat nichts Vertrautes. Das Mädchen in der schmutzverschmierten ärmellosen Bluse und dem Minirock in einem hellen Pfirsichton, mit der blutigen Lippe und dem Schnitt über dem Auge – sie kann sich nicht an sie erinnern. Sie hat keine Ahnung, wie sie heißt.
Die Panik verdrängt die Angst, und sie beginnt zu zittern.
Atmen,
befiehlt sie sich selbst, während sie umhertastet und eine Tasche in ihrem Rock entdeckt. Darin stecken ein 20 -Dollar-Schein und ein Stück von einer zerrissenen Kette, aber kein Ausweis, nichts, das ihr verraten würde, wer sie ist.
Ihre Augen wandern zum Spiegelbild des Fensters hinter ihr. Die Vorhänge sind
halbgeschlossen, durch den Spalt leuchten künstlich grelle Neonlichter. Sie schaut hin, ohne
sie wirklich zu sehen, konzentriert sich ganz auf ihren Atem. Dann lässt sie ihren Blick durchs Zimmer wandern, vage, bis er auf ihren Händen ruht. Sie sind zerschnitten und schmutzig.
Eine Handvoll Staub,
denkt sie und erbebt. Etwas an dem Satz bereitet ihr Unbehagen, aber sie weiß nicht, warum oder wo sie ihn schon einmal gehört hat. Vielleicht, wenn sie die Augen schließt und sich wieder hinlegt.
Geh!,
befiehlt die Stimme in ihrem Kopf und reißt sie aus ihren Gedanken.
Du musst raus hier!
Diesmal funktioniert es. Sie kommt schwankend auf die Füße und geht zur Tür. Hält
auf der Schwelle inne, gefangen in dem Gefühl, dass sie etwas vergessen hat –
Hatte sie einen Mantel dabei? –,
doch es verflüchtigt sich, wird überlagert von dem Drang zu fliehen und von ihrem Durst, der beinahe unerträglich ist. Sie würde alles für eine Cola geben. Sie reißt die Tür auf und stolpert hinaus in die warme Nachtluft.
11. Kapitel
Freitag
I ch schlief im Bus ein und träumte von lachenden Mädchen und orangefarbenen Schmetterlingen, die auf meiner Wange landen, und wachte erst auf, als der Fahrer unsere Ankunft in Tucson verkündete.
Vom Bahnhof aus nahm ich für mein letztes Geld ein Taxi zum Ventana Canyon. Es war die Straße, die zum Anwesen der Silvertons führte, doch ich wollte nicht dorthin. Jedenfalls noch nicht.
Wenn alles wie geplant lief, würde ich letztlich dort auskommen.
Je höher die Straße
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