Geisterblumen
genug gewesen. Oder als wollten sie ein Foto mit mir machen, damit sie es auf Facebook posten konnten.
Ich war nicht enttäuscht. Ich hatte mir ihre Freunde nur im Jahrbuch ansehen können, und die Fotos waren drei Jahre alt gewesen, also würde ich die meisten von ihnen nicht oder nur schwer wiedererkennen. Was bedeutete, dass dies der gefährlichste Moment meiner Ankunft war – ich musste ihn möglichst kurz halten.
Das hatte ich von Beginn an geplant. Nur ist es nicht so einfach, auf einer schicken Abschlussparty einen Streit anzufangen. Es war eine Herausforderung, jemanden dazu zu bringen, dass er mit Twittern aufhörte und mir eine runterhaute. Dafür musste ich drei Jungs provozieren, darunter einen, dessen Smartphone ich in den Pool warf, weil er nicht mit Filmen aufhörte. Doch erst als ich einem der herbeigerufenen Leibwächter von Coralees Mutter einen Kinnhaken verpasste und anschließend in die Eier trat, passierte etwas.
Die Polizei traf fast sofort ein – jemand musste sie gerufen haben, sowie ich den Streit vom Zaun gebrochen hatte.
Der Polizist, der mich mit zur Wache nahm, war erstaunlich jung. Er war nicht gutaussehend, jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn, aber er hatte eins dieser Gesichter, die man immerzu anschauen wollte. Der Mund war zu groß, seine Nase schien eine Kneipenschlägerei hinter sich zu haben, und er blickte finster drein. Sein Gesicht war wie dafür geschaffen.
Er war der Typ Mann, den man niemals im Country Club antraf, der aber mühelos am Türsteher jedes Nachtclubs vorbeikam. Auf seinem Namensschild, das schnurgerade am blauen Uniformhemd steckte, stand:
N. Martinez.
Er näherte sich mir vorsichtig, doch das hätte er sich sparen können. Ich kämpfe nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt, und ich hatte schon genügend Aufmerksamkeit erregt.
Er legte mir Handschellen an und führte mich zum Rücksitz des wartenden Streifenwagens. Während der zweiundzwanzigminütigen Fahrt zur Polizeiwache sprach keiner von uns, und seine finstere Miene veränderte sich nicht. Als wir da waren, zog er einen Stuhl unter einem Schreibtisch hervor und stieß mich darauf. »Wo ist Ainslie?«, fragte er die einzige andere Person im Raum, einen Mann mit ergrauendem Haar, der einen Tweedmantel und eine Krawatte trug. Ein Detective. »Das hier ist für sie.«
»Was ist los?«, fragte der Detective und zuckte leicht zusammen, als er mich ansah. Vermutlich hatte mein Aussehen bei dem Kampf und meinem nachfolgenden Sturz in den Pool etwas gelitten.
»Sie hat Hausfriedensbruch bei den Golds begangen«, sagte N. Martinez. Ich merkte, dass er den Detective nicht mochte und sich keine Mühe gab, es zu verbergen. »Ist einfach auf Coralee Golds Abschlussparty aufgekreuzt. Sieht Aurora Silverton ganz schön ähnlich, was? Das war Ainslies Fall.«
Ich spürte mehr, als ich es sah, wie der andere Mann große Augen machte, während ich an dem Schnitt in meiner Lippe saugte, den ich dem rechten Haken des Leibwächters verdankte.
Der Detective trat näher, um mich zu begutachten. Die Adern auf seiner Nase erinnerten an eine Landkarte, und seine Krawatte hatte ein Muster aus Teddybären. Ich lächelte ihn an, anscheinend bedrohlich, denn er wich zurück und wandte sich an N. Martinez. »Du solltest sie besser herrichten. Wenn das herauskommt, gehen draußen die Blitzlichter an.«
»Das ist aber nicht das übliche Verfahren«, protestierte N. Martinez. Sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, die finstere Miene war höchstens noch finsterer geworden. »Die Beweise …«
»Wenn dir dein Job lieb ist, machst du sie zurecht, bevor Ainslie kommt.«
N. Martinez ergriff mich unsanft am Arm und führte mich in den Flur. Er stoppte kurz, um sich einen Erste-Hilfe-Kasten zu schnappen und schob mich dann in die Männertoilette. »Ich bin ein Mädchen.« Darauf musste ich ihn hinweisen, wo er doch so großen Wert auf das übliche Verfahren legte.
»Ich aber nicht, und ich komme mit.« Ich wusste aus Erfahrung, dass Polizisten sehr gereizt und überängstlich reagieren, wenn sie hören, dass jemand das Knie in die Eier bekommen hat. Er folgte mir, stellte den Erste-Hilfe-Kasten auf eins der weißen Porzellanwaschbecken und schloss die Handschellen auf. »Wasch dich.«
Du trägst den Gestank des Todes in dir
. Die Stimme von Madam Cruz hallte erneut in meinen Ohren wider, als ich sah, wie er mich beobachtete.
Unter einem Spiegel hingen zwei Waschbecken. Hinter mir befanden sich zwei
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