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Geisterblumen

Geisterblumen

Titel: Geisterblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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»Leider nicht. Ich kann mich überhaupt nicht an die Party erinnern. Ist das …? Denken Sie, dass wir dort waren … dass das, was auch immer uns zugestoßen ist, dort passiert ist?«
    »Das ist passiert«, sagte Detective Ainslie und hielt ein Foto hoch.

19. Kapitel
    E
in zerbrochenes Bild,
flüsterte eine Stimme in meinem Kopf, als ich das Foto betrachtete. Es war wie die erste Zeile eines Liedes, aber sie stimmte nicht ganz.
    Zum Bild passte sie allerdings sehr gut. Auf dem Foto ist ein sonniger Frühsommertag zu sehen. Es kann noch nicht spät sein, weil die ersten winzigen Schatten wie Tautropfen von den Spitzen rostbrauner Felsen hängen. Eine Biene erhebt sich von einer weißen Blüte, die Kamera hat sie mitten im Flug eingefangen und für immer in der Zeit eingefroren. Daneben liegt ein Mädchen in einem weißen Kleid, den Kopf geneigt, die Augen geschlossen, ein leichtes Lächeln auf den Lippen, als befände sie sich mitten in einem schönen Traum. Auf ihrer Schulter sitzt ein Marienkäfer. Eine Hand liegt neben ihrer Nase, die Haare sind um ihren Kopf ausgebreitet wie ein leuchtender Heiligenschein, den anderen Arm hat sie hinter sich ausgestreckt, mit der Handfläche nach oben. Ihr Körper bildete eine Vier.
    Wenn Menschen über das Sterben sprechen, sagen sie: »Sie ist eingeschlafen« oder »Sie ist ganz ruhig von uns gegangen«, aber so ist es nicht. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Am Ende gibt es immer eine Erschütterung, wie der Wind, der eine Tür hin und her schlägt, während jemand sich verzweifelt bemüht, sie geschlossen zu halten. Niemand ruht in Frieden.
    Aber wenn doch, würde es so aussehen wie bei dem Mädchen auf diesem Bild. Es schien, als hätte sie gerade ein Picknick beendet und würde nur kurz schlafen, doch es war kein Picknickkorb zu sehen. Und der gebogene Teil der Vier bestand aus ihrem Bein, das in einem unmöglichen Winkel nach hinten geknickt war, das Knie zerschmettert, so dass nicht die Sohle, sondern die Spitze ihrer staubigen, weißen Sneaker an der Wade ruhte.
    Ein zerbrochenes Bild,
flüsterte die Stimme in meinem Kopf, und ich
dachte:
Genau, das ist es. Aber was?
Wörter und Sätze trieben durch meine
Gedanken.
Wo die Sonne sticht und der tote Baum kein Obdach bietet.
Die Worte stammten nicht von mir, obwohl sie mir irgendwie vertraut vorkamen. Sie mussten aus einem Lied oder Gedicht stammen, das lange in meinem Gedächtnis vergraben gewesen war, doch ich hatte keine Ahnung, worum es sich handelte.
    Ich konnte nicht glauben, dass das Mädchen auf dem Bild tot war. Sie sah aus, als wartete sie nur, dass ein Prinz oder eine Prinzessin sie wachküsste, als wartete sie nur darauf, sich umzudrehen und zu lächeln und die Augen aufzuschlagen … zuerst lächeln, man sah, dass sie so ein Mensch war. Sie würde den Marienkäfer von ihrer Schulter pusten und sagen: »Wünsch dir was.«
    Ich schauerte. Detective Ainslie sagte: »Hast du dich an etwas erinnert?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nur … sie sieht gar nicht … tot aus.«
    Die Ermittlerin nickte knapp. Sie nahm ein weiteres Foto aus der Mappe, auf dem mehr von der Landschaft zu sehen war. »Three-Lovers-Point ist acht Kilometer von dem Haus entfernt, in dem die Party stattgefunden hat. Wir glauben, sie ist von da oben gesprungen.« Sie deutete auf eine Stelle an der Seite der Klippe. »Sie scheint hier gegen die Wand geprallt zu sein« – ihr Finger ruhte auf einem großen Felsbrocken –, »dann ist sie das übrige Stück hinuntergerollt.« Sie wartete einen Augenblick. »Kommt dir irgendetwas bekannt vor?«
    Dort ist Schatten unterm roten Fels
, murmelte mein Verstand, der Strom der Erinnerung – es musste eine Erinnerung sein, aber woran? – floss weiter. »Nein.«
    »Was ist hiermit?« Sie schob ein Blatt Papier über den Tisch, und ich sah, dass es sich um die Quittung eines Kaufhauses handelte. »Erkennst du die?«
    Am unteren Ende, auf der Linie mit der Anmerkung »Rücknahmegarantie gelesen und verstanden«, stand in der ungezügelten, schlampigen Handschrift, die ich wochenlang eingeübt hatte, der Name
Aurora Silverton
. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber falls es sich nicht um eine Fälschung handelt, habe ich das wohl unterschrieben. Von wann ist die?«
    »Vom letzten Freitag, den du hier verbracht hast, dem Tag, an dem du und Liza den Sommerkurs geschwänzt habt und ins Einkaufszentrum gegangen seid. Die Kassiererin ist sich sicher, dass du das unterzeichnet hast. Ihr habt

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