Geisterblumen
rasierte ich mir zwei Mal die Beine. Als ich fertig war, wischte ich mit den Handtüchern die Dusche aus, wischte jede Spur weg, jedes winzige Teilchen von mir, das er berührt hatte. Es war noch immer nicht sauber genug, also holte ich Wattestäbchen und reinigte damit den Abfluss. Ich ging nach unten und warf sie und die Handtücher und die Strickjacke, die ich getragen hatte, in den Müll.
Als ich wieder in mein Zimmer kam, klingelte das Handy. Mein Herz schlug schneller, als
ich
Unbekannter Anrufer
las. Ich starrte unschlüssig aufs Display. Dann, einfach so, hörte es auf zu klingeln.
Ich ging schlafen.
29. Kapitel
Sonntag
I
ch stehe mitten in einem Labyrinth von Münztelefonen, Hunderte in säuberlichen Reihen angeordnet. Als ich mich nach dem Ausgang umschaue, beginnt ein Telefon zu klingeln.
Ich weiß instinktiv, dass ich rangehen muss; es geht um Leben und Tod. Ich halte die Luft an und überlege, welches Telefon es sein könnte, in welcher Richtung es sich befindet. Als ich glaube, es gefunden zu haben, bewege ich mich darauf zu, bleibe aber wieder stehen, bin verunsichert. Ich drehe mich um und gehe zurück.
Klingeling.
Erst hört es sich an, als käme es von links, dann wieder von rechts.
Klingeling.
Ich gerate in Panik.
Es geht um Leben und Tod,
wiederholt eine Stimme in meinem Kopf, die Worte passen sich spielerisch dem Klingeln an, Leben und Tod, Klingeling, Leben und Tod, Liza ist tot, Lizas Tod.
Es geht um Lizas Tod.
Ich kann kaum noch atmen, und mein Puls beschleunigt sich. Ich laufe eine Reihe
hinauf und die nächste zurück, immer davon überzeugt, dass das nächste Telefon das richtige
ist. Oder das dahinter. Links. Diagonal. Das Klingeln geht weiter, unablässig, verwandelt sich in eine Art Klopfen, eine Aufforderung.
Ich komme zu spät,
denke ich, als ich mich von einem Telefon zum anderen bewege. »Ich komme«, will ich rufen, merke aber, dass mein Mund nicht funktioniert. Die Wörter sind wie schwere Felsbrocken, die ich zwischen meinen zusammengepressten Zähnen heraushieven muss. »Versuch es«, knurre ich, wobei mein Kiefer vor lauter Anstrengung schmerzt. »Dürfen dir … nicht weh tun … finde dich … ich …
Ich öffnete die Augen und bemerkte, dass das Klopfen nicht zu meinem Traum gehörte. Es war echt. Und es war auch kein richtiges Klopfen. Es klang eher wie Türen, die auf und zu gingen. Türen im Flur vor meinem Schlafzimmer.
Als das Geräusch näher kam, kroch die Angst wie ein Fangarm an meinem Rückgrat auf und ab. Es war nicht der Wind. Es war auch keine Einbildung.
Das Geräusch kam näher, war nur noch zwei Türen entfernt. In der Hoffnung, es aufzuhalten, rief ich: »Wer ist da? Wer ist da?«
Einen Moment lang herrschte eine tiefe, schwere Stille.
War es mir gelungen? Hatte ich sie …
Dann begann meine Tür zu beben, das Schloss und die Scharniere erzitterten.
Ich saß wie erstarrt im Bett, atmete keuchend, Tränen brannten in meinen Augen. Ich hörte ein Grunzen, als würde das, was die Tür bewegte, viel Kraft aufwenden. Und dann hörte ich durch das Beben der Tür eine Stimme, die »Aurora« flüsterte.
Ich wischte mir Tränen aus den Augen, und mein Magen verkrampfte sich. »Wer bist du?«, schrie ich.
»Aurora«, flüsterte die Stimme noch einmal. »Ich will … Aurora.«
»Geh weg!«, rief ich. »Du kannst nicht rein.«
»Kann nicht rein«, sang die Stimme leise und stieß ein dünnes Kichern aus. »Will rein, will rein!«
Neben dem Türschloss war ein Kratzen zu hören, als suchte es das Holz nach einer Schwachstelle ab.
Du hättest ans Telefon gehen sollen
, dachte ich.
Es kommt dich holen, weil du nicht ans Telefon gegangen bist.
»Es tut mir leid«, sagte ich zu der Tür. »Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe.«
Das Geräusch verstummte abrupt.
War es das gewesen? Hatte ich einfach nur …
Dann begann das Kratzen wieder, diesmal an der Unterseite der Tür, als wollte es sich seinen Weg hindurchgraben.
Ich saß wie gebannt im Bett, bemerkte seltsame Details, den blassen Himmel vor meinem Fenster, den Schmerz in meiner Handfläche, in die ich meine Fingernägel bohrte, den klaffenden, dunklen Spalt unter der Tür. Jeden Augenblick würde es hereinkommen. Alle Muskeln in meinem Körper waren angespannt, und ich konnte kaum atmen.
Und dann, von einem Moment auf den anderen, als hätte jemand mit dem Finger geschnipst, war es vorbei. Die Tür bewegte sich nicht mehr, die Geräusche verklangen, die Stille senkte
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