Geisterblumen
Schatten über sein Gesicht warfen, und einen schmalen Mund, der aussah, als könnte er sich zu einem Lächeln kräuseln, auch wenn er es jetzt nicht tat. Sein Haar war kürzer als auf den Fotos und ein bisschen zerzaust, als hätte er gerade geduscht. Durch die linke Augenbraue verlief eine Narbe. Sein Gesicht wirkte älter, als ich erwartet hatte, vielleicht war es auch nur vergrämt. Seine Augen sahen aus, als könnten sie im richtigen Moment schelmisch funkeln oder sogar lachen, doch jetzt las ich keine Belustigung in ihnen. Ich las gar nichts.
Er stand nicht auf, als ich näher kam, musterte mich nur und sagte: »Du hast dir die Haare abgeschnitten.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals. »Du dir auch.«
Er fuhr mit der Hand darüber und nickte. »Gehört zum Job.«
»Du … du solltest eigentlich nicht hier sein. Ich habe gehört, du wärst umgezogen.«
»Und ich habe gehört, dass du zurück bist.«
Die Kälte in seinem Ton und seinem Blick war furchtbar. Er hasste mich, besser gesagt, den Menschen, für den er mich hielt.
»Wie ist es in Dartmouth?«
»Bin nicht hingegangen. Hab mich stattdessen verpflichtet.«
»Verpflichtet?«
»Bei den Marines. Hab eineinhalb Einsätze in Afghanistan hinter mir.« Er rieb sich den Oberschenkel, als wäre es wichtig, dass seine Jeans ganz glatt saß. Dann sagte er ohne Vorwarnung: »Du weißt, dass ich an dem Abend auf dich gewartet habe. Und am nächsten Tag. Und am nächsten Abend.«
Ich musste nicht fragen, welchen Abend er meinte. Es war der, an dem Aurora verschwunden war. »Es tut mir leid.«
»Es tut dir leid? Mehr hast du nicht zu sagen?«
»Was sollte ich denn deiner Meinung nach sagen?«
Er schien tatsächlich um eine Antwort verlegen. Das Schweigen breitete sich in dem gewaltigen, gefliesten Raum aus. »Warum du nicht gekommen bist. Und nicht angerufen hast. Warum du ohne mich weggelaufen bist.« Er schüttelte den Kopf und ließ seinen Blick in die Ferne wandern. »Ich dachte, du wärst tot.«
»Du scheinst enttäuscht zu sein, dass ich es nicht bin.«
Sein Blick ruhte wieder auf mir, und ich hätte alles darum gegeben, wieder den leeren Ausdruck von vorhin zu sehen, denn der Schmerz in seinen Augen war furchtbar. »Das ist kein Witz. Weißt du, was du mir angetan hast? Als ich dich für tot gehalten habe? Es hat mein Leben zerstört. Du warst die ganze Zeit am Leben und hast nicht ein einziges Mal geschrieben. Oder angerufen. Wie war das mit ›Lass uns zusammen weglaufen‹?« Er schluckte. »Was ist aus dem ›Ich liebe dich für immer und ewig‹ geworden?«
Er starrte mich an und wartete auf Antworten, die ich ihm nicht geben konnte. »Ich … ich weiß es nicht«, sagte ich unbeholfen.
Sein Gesicht verriet mir, wie unzulänglich die Worte waren, wie sehr ich versagt hatte. »Weißt du, warum ich mich verpflichtet habe?«
Ich schüttelte den Kopf. »Weil es mir egal war, ob ich tot oder lebendig bin. Eine Welt ohne dich war nicht mehr lebenswert. Und die ganze Zeit über habe ich mir gewünscht, dass du noch am Leben bist. Vielleicht würdest du ja eines Tages zurückkommen und mir erzählen, was passiert ist.« Er atmete schwer. »Und jetzt bist du hier. Ich höre.« Eine zitternde Flamme der Hoffnung schimmerte durch seinen Schmerz hindurch.
Es brach mir das Herz. Er hatte etwas Besseres verdient als die Halbwahrheiten und banalen Entschuldigungen, die ich anzubieten hatte. Er hatte die Wahrheit verdient.
»Ich bin nicht die, für die du mich hältst.«
Der Schmerz und der Hoffnungsschimmer verschwanden nicht, wurden aber schwächer. »Wovon redest du?«
»Ich bin nicht der Mensch, der dir fehlt. Ich bin nicht dieses Mädchen.« Es war schwer. Zu schwer. Ich musste weg von ihm, ihn auf Distanz halten.
Er runzelte die Stirn. »Sag das noch einmal.«
»Ich bin nicht dieses Mädchen.«
Er holte tief Luft. »Ich bin ein Idiot.«
Ich streckte die Hand nach ihm aus. »Nein, du bist kein …«
Er wich zurück. »Fass mich nicht an. Wer immer du bist, fass mich nicht an.« Er richtete sich auf und beugte sich etwas steif aus der Hüfte zu mir. »Soll das heißen, du bist nicht Aurora Silverton?«
Ich zögerte, doch es war der einzige Weg. Der einzige Weg, um das hier wiedergutzumachen. »Ja. Ich bin eine Hochstaplerin. Ich heiße Eve Brightman.«
Er stieß die Luft aus und schüttelte den Kopf. »Warum bist du hier? Warum machst du das?«
Es lag so viel Qual in seiner Stimme, dass ich mich selber hasste. Was sollte ich sagen? Welche
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