Geisterfahrer
Rohrgestänge bestand, brachte mich auf die richtige Spur, und als ich gegen einen Stapel Bierkisten stieß, begriff ich es, während die Erinnerung an den letzten Traum verblasste. Es war um Werner gegangen, der mich mit einem Totschläger malträtierte, wobei ich, wehrlos an einer Pritsche festgebunden, Roland-Kaiser-Songs summen musste.
Hier wird gut abgefeiert war ein Euphemismus. Der Laden füllte sich Schlag acht Uhr, und die Gäste tanzten wie die Blöden, ab dem ersten Song und bis zum letzten, gegen sechs am Samstagmorgen. Es gab Polonaisen, laute Mitsingchöre, Zwischenapplaus und so gut wie keinen Musikwunsch. Goerch kam alle zehn Minuten an, stellte mir eine neue Flasche Bier hin und klopfte mir mit seinem rechten Ersatzrad auf den Rücken.
»Mönsch, Mönsch«, sagte er und nickte dabei.
Und es machte Spaß. Das Publikum bestand höchstwahrscheinlich zu neunzig Prozent aus Stammgästen, einer Mischung aus Landjugend, örtlichen Honoratioren, Ehepaaren, die sich am Ende einer arbeitsreichen Woche die Kante gaben, dem Singlerest beiderlei Geschlechts zwischen Mitte zwanzig und Ende vierzig, einer soliden, lautstarken Minderheit aus Alkoholikern unbestimmbaren Alters, und diesen Leuten, die einfach nur eine Menge groß machen, ohne selbst wirklich Bestandteil zu sein. Die Tanzfläche war pausenlos proppenvoll, aber Goerch und seine Tresenhelferin, eine höchstens Siebzehnjährige mit abgeschnittenen Jeans, roten Stulpen, hochtoupierten Haaren und pinkfarbener, vor der Brust verknoteter Bluse, hatten trotzdem gut zu tun. Ich kam fast nicht dazu, die Frauenlage zu sondieren. Aber eine fiel mir sofort auf. Sie war drall, ohne auch nur annähernd dick zu sein, nicht sehr groß, ohne kurz zu wirken, irgendwie handlich, gleichzeitig grazil. Sie war auf unspektakuläre Weise brünett und unauffällig geschminkt, was ich als reizvoll empfand; sie tanzte auf sehr sinnliche Art, und sie sah dabei immer zum DJ-Kabuff, obwohl sie in Begleitung gekommen war. Wenn sie vom Tanzen pausierte, stellte sie sich in Tresennähe neben einen großen, schlaksig wirkenden Endzwanziger, mit dem sie sich angeregt zu unterhalten schien, und die beiden verhielten sich, als wären sie Magneten, deren Südpole aneinandergedrückt werden: Ab einem bestimmten Punkt schien es nicht mehr zu gehen, sie glitten ab und vorbei, hielten aber den Blick und lächelten sich an. Wenn die Frau nicht gerade zu mir herübersah. Merkwürdig.
Gegen fünf war ich im Eimer, gut angetrunken und so müde wie schon lange nicht mehr. Als Goerch eine knappe Stunde später ankündigte, demnächst schließen zu wollen, lächelte ich dankbar, auch in Richtung der Frau, die zusammen mit dem Schlaks gerade den Laden verließ, allerdings nicht, ohne vorher in meine Richtung zu lächeln.
»Morgen geht’s hier richtig los«, orakelte der Kneipenbesitzer; ich nickte, spielte »Strangers in the Night« – meinen üblichen Abschlusssong –, schaltete die Anlage ab, zog noch ein Gutenachtbier und fiel umgehend in traumlosen Schlaf.
Am frühen Nachmittag erwachte ich mit starken Rücken- und Nackenschmerzen, außerdem hatte ich einen mordsmäßigen Kater und heftigen Durst. Ich quälte mich zum Waschbecken, trank zwei Minuten lang Leitungswasser. Dann legte ich mich wieder hin und wartete ab, bis die Kopfschmerzen etwas nachließen.
Goerch war nicht aufzutreiben, also konnte ich nicht duschen. Ich zog die müffelnden Klamotten vom Vorabend wieder an. Auf den noch ungeputzten Toiletten der Kneipe stank es, als hätte eine Elefantenherde nach erfolgtem Savannendurchmarsch die wochenlang angestauten Verdauungsreste auf einen Hieb abgesondert. Es war widerlich. Die Klobrillen waren verseucht; ich musste mehrere Lagen Toilettenpapier aufschichten, um wenigstens halbwegs vor starker Verschmutzung sicher zu sein. Nachdenklich betrachtete ich eine Weile meinen alkoholbedingt dünnflüssigen Stuhlgang, verspürte dabei einen Anflug von Wehmut – so hatte ich mir das Leben als DJ eigentlich nicht vorgestellt, aber genau genommen hatte ich mir überhaupt nichts vorgestellt, noch nie. Mein Leben passierte mir.
Ich spülte vorsichtig, indem ich den versifften Knopf mit der fast leeren Klorolle drückte, sprang in meine milchsäurigen Turnschuhe und machte mich auf die Suche nach etwas Essbarem.
Vor der Tür verschlug mir die frische Luft fast den Atem. Ich blinzelte; es war sonnig, der Himmel klar und hellblau, kein Wölkchen weit und breit. In den Vorgärten reckten sich
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