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Geisterfjord. Island-Thriller

Geisterfjord. Island-Thriller

Titel: Geisterfjord. Island-Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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fragte Freyr und legte die Krankenakte beiseite. »Oder möchten Sie keine zusätzliche Tablette mehr?«
    Der Mann in dem weißen Nachthemd mit dem Krankenhauslogo lächelte. Seine violetten Lippen spannten sich und sahen dabei aus wie zwei Striche. Sein Gebiss war schon längst eine Nummer zu groß und dominierte beim Lächeln sein Gesicht. »Ach, warum nicht?« Er legte seine zitternde Hand vorsichtig auf seine Brust, die sich bei seinen schwachen Atemzügen hob und senkte. »Ich schlucke alles, was man mir gibt, mein Lieber. Das wird schon wieder.«
    »Da haben Sie recht.« Freyr wusste genauso gut wie der Patient, dass seine Tage gezählt waren. Er war weit über neunzig und hatte Magenkrebs. Aber Freyr war zu müde, um mit ihm über Leben und Tod zu sinnieren. »Hübsches Mädchen«, sagte er und nahm das gerahmte Foto eines Mädchens mit dunklen Zöpfen vom Nachttisch. »Ist das Ihre Enkelin, die eben hier war?« Im selben Moment, als er das gesagt hatte, merkte er, dass es nicht stimmen konnte. Das Kind auf dem Foto war älter als das kleine Mädchen, das an der Hand seiner Mutter am Vormittag aus dem Krankenzimmer gekommen war.
    Der Mann lachte kurz und röchelnd. »Sie haben einen scharfen Blick. Das Bild ist von meiner Enkelin Svana vor fast zwanzig Jahren. Und jetzt hat sie selbst ein kleines Mädchen. Die beiden sind wundervoll und kommen oft vorbei.« Der Mann kniff seine wässerigen Augen zusammen und musterte Freyrs Hände. »Sind Sie nicht verheiratet?« Ein weiterer Hustenanfall erstickte das Verhör im Keim.
    »Geschieden.« Freyr holte sein Stethoskop heraus. »Ich höre Sie mal kurz ab. Dieser Husten klingt nicht gut.«
    »Klingt Husten jemals gut?« Der alte Mann wartete nicht auf eine Antwort. »Es ist ein großer Fehler, nicht wieder zu heiraten und das Leben alleine zu verbringen, mein Lieber. Ein großer Fehler.«
    Freyr nickte zustimmend. »Das habe ich auch nicht vor. Mir fehlt nur die passende Frau. Die laufen mir nicht gerade in Scharen hinterher.« Er zog die Decke von der Brust des Mannes und knöpfte sein Nachthemd auf. »Jetzt wird’s kurz kalt, aber das kennen Sie ja schon.«
    »Svana, meine Enkelin, die eben hier war, lebt alleine.« Der Mann schaute Freyr in die Augen. »Eine gute, hübsche Frau. Genauso wie das Kind.«
    Freyr lächelte ihm zu. »Das bezweifle ich nicht. Sie sind bestimmt viel zu gut für mich.« Er schaute auf die große Wanduhr über der Zimmertür. »Ich arbeite so viel.« Er bewegte das Stethoskop über die fleckige Brust des Mannes. »Wie alt ist die Kleine denn?«
    »Drei Jahre. Sie kann schon sprechen.« Der Alte verstummte und hustete auf Freyrs Anweisung hin. »Der Kindergarten musste heute Morgen schließen, und die Kleine hatte frei und wollte ihren Uropa besuchen. Da ist in der Nacht alles demoliert worden. Wirklich schlimm so was.« Er schwieg erneut und konzentrierte sich darauf, auf Kommando tief ein- und auszuatmen. Als Freyr das Stethoskop zurück in seine Tasche steckte, sprach er weiter. »Manche Dinge ändern sich wohl nie. Es wird immer solches Pack geben, dem es Spaß macht, Dinge anderer Leute kaputt zu machen. Diese Zerstörungswut ist abscheulich. Als ich hier in der Grundschule unterrichtet habe, wurde auch mal alles demoliert. Das war ein furchtbarer Tag, die Mitarbeiter im Kindergarten tun mir wirklich leid, wenn es da jetzt so ähnlich aussieht.«
    »Ich bin heute Morgen in den Kindergarten gerufen worden und habe es gesehen. Ich weiß, was Sie meinen.« Freyr knöpfte das Nachthemd des Mannes wieder zu und zog die Decke hoch. »Man kann nur hoffen, dass sie den Täter finden.«
    »Glaube ich nicht. Derjenige, der damals die Grundschule demoliert hat, wurde nie geschnappt, der musste in seinem irdischen Leben keine Rechenschaft ablegen.« Traurig schüttelte der Alte den Kopf. »Ich erinnere mich ja inzwischen kaum noch an was, aber ich werde nie vergessen, wie da alles zerstört wurde. Damals war alles noch viel wertvoller, man konnte nicht in den nächsten Laden gehen und die Dinge einfach so ersetzen. Das war nicht nur ein emotionaler Schaden. Der Schulalltag wurde noch jahrelang von diesem Einbruch beeinträchtigt.« Er bekam einen heftigen Hustenanfall und sprach dann etwas heiserer weiter. »Wir mussten sogar sparsam mit der Farbe umgehen, und die Schmierereien konnte man noch lange durchscheinen sehen. Erst, als die ganze Schule neu gestrichen wurde, sind die Buchstaben verschwunden.«
    Freyr hatte höflich gewartet, bis der

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