Geisterfjord. Island-Thriller
überzeugend. Mit entschlossenerer Stimme fügte er hinzu: »Außerdem versucht dieses seltsame Kind nicht hier reinzukommen. Ich weiß zwar nicht, wo es hingelaufen ist, aber wenn es nicht in einem der Häuser ist, kommt es draußen um.«
»Sag so was nicht.« Katrín war völlig schleierhaft, was es mit der Anwesenheit des Kindes an diesem entlegenen Ort auf sich hatte, hoffte aber, dass es in Begleitung Erwachsener war. Auch wenn sie es nur aus einiger Entfernung und ganz kurz gesehen hatte, war sie sich sicher, dass es nicht ganz richtig im Kopf war. Die Vorstellung, dass ein krankes Kind auf unerklärliche Weise in ein verlassenes Dorf gekommen war und nun ohne ein Dach über dem Kopf draußen herumirrte, war alles andere als angenehm. »Und ihr meint, es bringt nichts, nach dem Jungen zu suchen?«
»Meinst du, dass es ein Junge ist? Ich bin mir da nicht so sicher, und ich habe das Kind ziemlich lange verfolgt.« Garðar gähnte. »Aber ob es nun ein Mädchen oder ein Junge ist, ich gehe jedenfalls bei diesem Wetter nicht raus und suche nach ihm. Das Kind will nichts mit uns zu tun haben und wird schon irgendwo reinkommen, wenn ihm kalt ist. Es ist bestimmt nicht zu schwach, um die Spanplatten von einem der Fenster zu reißen.«
Líf hatte sich den Schlafsack wieder über den Kopf gezogen und musste lauter sprechen, damit die anderen sie hörten. »Komm bloß nicht auf die Idee, dieses Kind zu bemitleiden, Katrín. Ist mir völlig egal, ob du Lehrerin bist oder nicht, das ist ein Befehl!«
Manchmal machte man das Leben mit Befehlen und Verboten einfacher, und dies war ein solcher Moment. Katrín gehorchte Líf und zügelte ihre Emotionen, die auf und ab wogten wie die Wellen auf See. Jetzt musste Líf ihr nur noch verbieten, Angst zu haben, dann wäre alles in Ordnung. Katrín schloss die Augen, und zum ersten Mal, seit sie sich hingelegt hatten, hielt sie es für möglich einzuschlafen.
Im selben Moment zuckte Putti zusammen und knurrte leise. Katríns Zehen zitterten im Takt mit dem Brustkorb des Hundes. Sie musste sich einfach aufsetzen, obwohl es so dunkel im Raum war, dass sie überhaupt nichts sehen konnte. »Warum knurrt er? Habt ihr was gehört?«
Líf vergrub sich noch tiefer im Schlafsack und stieß einen leisen Schrei aus, der durch die Daunen gedämpft wurde. Garðar stöhnte. »Dieser Hund ist hoffnungslos. Er knurrt nur, weil er was fressen will. Oder pinkeln muss. Er hat bisher auch immer ohne besonderen Anlass geknurrt.« Zur Verteidigung von Puttis Ehre knarrte der Holzboden im Erdgeschoss laut. Sie kannten das Geräusch schon, es stammte von einer losen Diele in der Küche. Sofort wurde Garðar wachsam und setzte sich ebenfalls auf. »Was zum Teufel …« Líf stieß in den Tiefen ihres Schlafsacks wieder einen Laut aus.
Katrín packte Garðars Arm. »Kann sich das Holz bei dem Wetter bewegen?« Sie hörte selbst, wie weinerlich ihre Stimme klang, aber es war ihr egal. »Wir hätten doch gehört, wenn jemand reingekommen wäre, oder?«
Garðar ging nicht auf ihre Fragen ein und sagte: »Wo ist die Taschenlampe?« Er tastete auf dem Boden neben den Isomatten herum und fand die Lampe. »Das ist doch wirklich …« Er schälte sich aus seinem Schlafsack und suchte nach seinen Klamotten. »Ich gehe mal runter. Es ist bestimmt nichts, aber dann kann ich auch gleich Brennholz nachlegen. Ich traue den Temperaturen hier drinnen nicht, wenn das Wetter so bleibt.« Den Geräuschen nach zu urteilen, brauchte er ziemlich lange, um noch etwas über seine dicken Schlafklamotten zu ziehen. Puttis Knurren war zu einem erbärmlichen Winseln geworden, so als gefalle ihm Garðars Vorhaben ebenso wenig wie Katrín. Líf schwieg und lag reglos in ihrem Schlafsack, so still, dass man meinen konnte, sie sei ohnmächtig geworden. Katrín hätte es ihr am liebsten gleichgetan, sich in ihrem Schlafsack vergraben, die Augen zugemacht und die Minuten gezählt, bis die Nacht vorüber war. Aber sie konnte nicht. Die Vorstellung, in der Dunkelheit zu liegen und nur noch Líf und Putti zu haben, falls Garðar nicht zurückkäme, war noch schlimmer, als mit ihm runterzugehen und Gefahr zu laufen, dem Kind zu begegnen. Was konnte denn schon passieren? Kinder hatten ihr bisher keine Angst eingejagt, und es gab keinen Grund, hysterisch zu sein. Sie stand auf und schubste Putti dabei an. Daraufhin war nur noch sein Hecheln zu hören.
»Kannst du mal die Taschenlampe einschalten? Ich finde meinen Pulli nicht«, sagte
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