Geisterfjord. Island-Thriller
diesem Freundeskreis gestoßen, dass ich mich immer noch ein bisschen wie ein Eindringling fühle. Nicht, dass ihr mich schlecht aufgenommen hättet, das ist so eine angeborene Unsicherheit bei mir.« Katrín atmete tief ein. Die Luft, die ihre Lungen füllte, war frisch und erquickend, wenn auch ein wenig mit Rauch durchmischt. Vielleicht war sie auch nur erleichtert, endlich das gesagt zu haben, was sie so lange auf dem Herzen gehabt hatte. »Jedenfalls wünsche ich dir, dass du irgendwann einen anderen Mann kennenlernst, den du genauso liebst wie Einar.«
Líf hatte mit dem Mund einen Trichter geformt und eine dicke Rauchwolke ausgeblasen. Bei Katríns Worten musste sie schlucken, und es war, als sauge sie den Rauch wieder ein. Sie hustete ein paarmal und lachte dann freudlos. »Eigentlich hoffe ich, dass ich jemanden finde, den ich mehr liebe als ihn.«
»Äh?« Katrín wusste nicht, ob Líf einen Scherz machte oder es ernst meinte.
Líf lächelte sie aufrichtig an. »Mit Einar und mir lief es nicht besonders gut, das habt ihr doch bestimmt gemerkt. Wir hätten uns getrennt, wenn er nicht gestorben wäre. Die letzten vier Jahre unserer Ehe waren eine Katastrophe.«
Katrín tat ihr Bestes, um ihre Verwirrung zu überspielen, und antwortete: »Wir wussten schon, dass ihr zeitweise Probleme hattet, aber wir dachten, ihr hättet sie überwunden, als Einar gestorben ist. Du warst total fertig, und ich weiß, dass das nicht gespielt war.«
»Ich habe um die Vergangenheit getrauert. Um den Einar, den ich kennengelernt und geheiratet habe. Nicht um den Mann, mit dem ich die letzten Jahre zusammengelebt habe. Wir konnten die Nähe des anderen nicht mehr ertragen. Deshalb wusste ich auch nicht, dass er sein Herz hat untersuchen lassen, ich hatte zwar das Gläschen mit den Tabletten im Badezimmerschrank gesehen, aber wir haben kaum miteinander geredet, und ich hab ihn nicht danach gefragt. Als wir in der Nacht, in der er gestorben ist, ins Bett gegangen sind, haben wir uns noch nicht mal gute Nacht gewünscht. Natürlich konnten wir nicht wissen, dass wir uns nie wiedersehen würden. Zumindest nicht in diesem Leben. Dann hätten wir uns wohl zumindest voneinander verabschiedet. Aber so ist es nun mal. Unser Wunsch hat sich erfüllt, wenn auch anders, als geplant. Unsere Wege haben sich getrennt.«
Katrín war zu schockiert, um etwas sagen zu können. Wahrscheinlich hätte sie das gewusst, wenn sie Líf gegenüber offener gewesen wäre. »Scheiße«, war das Einzige, was ihr einfiel.
»Ja, genau. Scheiße.« Líf schnippte die Asche von ihrer Zigarette, und ein großer, grauer Aschekrümel schwebte langsam zwischen den Schneeflocken zur Erde. »Eigentlich war es schlimmer, als jemanden zu verlieren, den man liebt. Ich hab natürlich um Einar getrauert, aber mich dabei ein bisschen wie eine Heuchlerin gefühlt. Ich hatte ihm die Hölle gewünscht.« Sie zog ein letztes Mal an ihrer Zigarette, bis sich die Glut in den Filter brannte. »Erinnerst du dich an die Frau bei der Beerdigung, die so furchtbar geheult hat? Eine hübsche, dunkelhaarige in einem grauen Kostüm?«
»Nein, nicht direkt.« Katrín hatte sich bei der Beerdigung nur um Garðar gekümmert, der seinen besten Freund zu Grabe getragen hatte.
»Spielt keine Rolle.« Líf schnippte die Kippe in die Nacht hinaus. »Seine ehemalige Assistentin. Ich glaube, er hat mich jahrelang mit ihr betrogen.« Sie drehte sich zu Katrín. »Ich glaube es nicht, ich weiß es.«
Katrín riss die Augen so weit auf, dass ihre Lider brannten. »Wusste Garðar davon?«
Líf zuckte mit den Schultern. »Nee, wohl kaum. Ich glaube, Einar hat es vor ihm mehr geheim gehalten als vor mir. Sie waren ja immer noch Freunde. Und wir nicht.« Líf trat durch die Tür ins Haus, und Katrín folgte ihr.
»Habt ihr nicht versucht, euch wieder zusammenzuraufen? Unsere Ehe war auch nicht immer einfach, aber wir haben es jedes Mal geschafft, die Kurve zu kriegen.« Katrín wollte Líf gegenüber genauso ehrlich sein wie umgekehrt. »Das liegt allerdings an mir. Ich mache immer den ersten Schritt, während Garðar dichtmacht.«
Líf nickte und schaute Katrín tief in die Augen. »Brauchst du mir nicht zu erzählen. Einar war genauso. Natürlich habe ich am Anfang alles versucht. Uns bei einer Eheberatung angemeldet, zu der er nicht gekommen ist. Ich habe dann alleine eine Therapie gemacht, die hat mir sehr geholfen. Ich war nicht mehr frustriert, sondern wütend, und das ist ein viel, viel
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