Geisterfjord. Island-Thriller
besseres Gefühl.« Sie grinste verschwörerisch und flüsterte Katrín ins Ohr: »Ich hab ihn sogar betrogen, um mich zu rächen. Spielausgleich. Eins zu eins.« Sie rückte wieder von Katrín ab, und ihr Gesicht entspannte sich. »Aber das habe ich wieder beendet, es war nichts Ernstes, und die Voraussetzungen stimmten nicht. Einar hat es nie kapiert, der war zu sehr mit seiner eigenen Affäre beschäftigt, um mitzukriegen, was ich heimlich gemacht habe. Im Grunde bin ich froh, dass es so gekommen ist, aber manchmal wünsche ich mir, ich hätte es ihm gesagt, bevor er gestorben ist. Ich wollte mich einfach rächen.«
»Wer war es denn, wenn ich fragen darf?« Katrín kannte Einars, Lífs und Garðars Freundeskreis, der sie zähneknirschend aufgenommen hatte, ziemlich gut. Líf und Einar waren sehr nett zu ihr gewesen, aber die anderen hatten sich nur aus Rücksicht auf Garðar mit ihr abgegeben. Katrín hatte ihnen von den Augen ablesen können, dass sie sie nicht gut genug für ihn fanden, vor allem die Frauen – eine langweilige Lehrerin, die weder überdurchschnittlich intelligent noch besonders attraktiv war. Katrín war davon überzeugt, dass die Männer aus der Clique nicht gezögert hätten, ihren Freund zu hintergehen.
»Du kennst ihn nicht. Er ist älter als wir, und wir haben überhaupt nicht zueinander gepasst. Ich hab mich da in was reingesteigert.« Líf lächelte Katrín zu. »Ich denke, jemand in meinem Alter passt besser zu mir.«
»Okay.« Katrín wusste nicht, was sie dazu noch sagen sollte. Sie schämte sich ein bisschen für ihre Neugier, aber Líf schien sich nicht daran zu stören. Jedenfalls war Katrín froh, dass Líf nicht weiter über das Thema redete. Schweigend gingen sie zurück ins Haus, und Katrín hoffte zutiefst, dass Garðar nicht wieder anfangen würde zu sticheln. Sie brauchte Ruhe, um die Neuigkeiten zu verarbeiten. Aber ihre Sorge war unbegründet.
»Was glaubt ihr, was ich gefunden habe?«, fragte Garðar. Er war am Ende des Buches angelangt und hatte es noch näher an die flackernde Kerze geschoben. »Einen kurzen Abschnitt über unser Haus!« Er legte den Finger auf die Mitte der Seite. »Hier steht was über die Namen auf den Kreuzen.« Er bemerkte nicht, wie schweigsam die Frauen waren, und erzählte aufgeregt weiter: »Die Frau und ihr Sohn sind da unten ertrunken.« Er drehte sich um und zeigte auf das zugenagelte Fenster. Alle wussten, dass es Richtung Meer lag.
»Ist ein Schiff untergegangen?« Katrín versuchte, interessiert zu wirken, musste aber ständig an Lífs und Einars zerrüttete Ehe denken.
»Nein, nein, sie sind ins Eis eingebrochen.« Garðar erschauerte bei dem Gedanken. »Es war Winter, und der Fjord war zugefroren. Hier steht, dass der Junge aufs Eis rausgegangen und ein Stück vom Ufer entfernt eingebrochen ist. Sein Bruder hat es gesehen und die Mutter geholt, die verzweifelt versucht hat, ihr Kind zu retten. Dabei ist sie auch eingebrochen. Als man es endlich geschafft hat, eine Art Floß zu bauen und sich damit übers Eis zu der Einbruchstelle zu schieben, waren die beiden längst tot. Sie wurden auf dem Friedhof begraben. Das war die letzte Beerdigung hier in Hesteyri zu der Zeit, als das Dorf noch bewohnt war.«
Als er den letzten Satz gesagt hatte, wurde das Haus von einem donnernden Schlag erschüttert, den noch nicht mal der Schneesturm dämpfen konnte.
18. Kapitel
Auch wenn man den Zweck und die Bedeutung von Träumen schon seit Jahrhunderten erforschte, gab es noch keine endgültigen Ergebnisse. Das galt sowohl für Wissenschaftler, die versuchten, biologische Erklärungen zu finden, als auch für religiöse Gemeinschaften, die aus Träumen göttliche Botschaften lasen, oder für Esoteriker, denen sie angeblich die Zukunft voraussagten. Ein paar Dinge hatte man jedoch entdeckt: Wissenschaftlern war es gelungen herauszufinden, welche Botenstoffe im Organismus beim Träumen aktiv waren und verhinderten, dass sich die Gliedmaßen so bewegten, wie der Traum es dem Körper suggerierte. Zudem ließ sich messen, in welchem Schlafstadium die Träume einsetzten. Psychiater hatten Mitte des letzten Jahrhunderts mit Traumdeutungen experimentiert, aber diese Theorien waren schon nicht mehr aktuell, als Freyr sein Fachstudium aufgenommen hatte, und wurden nur noch in historischem Zusammenhang unterrichtet. Träume waren prinzipiell eine trügerische Sache: Ihr Inhalt war verzerrt, und wenn man sie nacherzählte, erhielt man bruchstückhafte
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