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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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zurück, schabten mit Werkzeugen, die wie kleine Hockeyschläger aussahen, die Pfeifenköpfe aus und sammelten die Asche ein. Sie kürzten Lampendochte und füllten Lampenöl nach. All das vollführten sie lautlos und unauffällig, nur das leise Schaben der Pfeifenreiniger und das Schnippen der Lampenscheren verrieten ihre Gegenwart.
    Da es hier unten keine Fenster gab, hätte es ebenso gut Mitternacht sein können, hätte Chess nicht noch das Gefühl von Sonnenschein auf der Haut und in der Kleidung gehabt. Der Raum hatte etwas von einer fast leeren Kantine kurz vor der Mittagspause oder vom Schauplatz einer Party, zu der niemand kam. An diesem Eindruck änderte auch der Rauchgeruch nichts, der so gründlich ins Mobiliar und die Wände eingezogen war, dass man ihn wohl nie wieder herausbekam.
    »Da ist er.« Terrible wies mit einer Kopfbewegung auf eins der besetzten Sofas und ging die Treppe hinab. Chess folgte ihm, wobei sie gleichzeitig zu erkennen versuchte, wen er meinte, und auf die Stufen achtgab.
    Am Fuß der Treppe angelangt, schlängelten sie sich zwischen den Sofas und den Angestellten hindurch, bis sie am anderen Ende des Raums zu einer flachen Chaiselongue kamen. Darauf ruhte ein Mann, bei dem es sich nur um den alten Earl handeln konnte.
    Wobei »Uralter Earl« für die hutzelige Gestalt dort auf den Polstern treffender gewesen wäre. Er hatte die dürren Beine fast bis zur Brust hochgezogen, und zwischen seinen knochigen Unterarmen und den arthritischen Händen traten die Handgelenke hervor. Eine Angestellte kümmerte sich um seinen Pfeifenkopf und handhabte das Dream-Kügelchen mit einer Nadel. Sie wich beiseite, als Terrible sie mit einer herrischen Kopfbewegung dazu aufforderte.
    »Die Dame möchte mit dir sprechen, Earl«, sagte er. »Bump will, dass du ihr was erzählst.«
    Earl löste den Mund von der Pfeife und sah Terrible mit schläfrigen Augen an. »Habneinenergermidbump«, krächzte er, und Chess brauchte einen Moment, bis sie verstand: »Ich hab keinen Ärger mit Bump.« Na toll.
    »Hat auch keiner gesagt, dass du Ärger mit ihm hast. Du könntest aber welchen kriegen, wenn du die Fragen dieser Dame nicht beantwortest. Klar?«
    Earl runzelte die Stirn. Terrible nickte der Angestellten zu, die daraufhin die Nadel fortzog, sodass Earl mit einer leeren Pfeife dasaß.
    »Ey!«
    Terrible zuckte mit den Achseln. »Wenn du die Fragen beantwortest, kriegst du’s wieder.«
    »Ey! Ey! Brinnasher! Hörssu!«
    Als sich Chess an seine undeutliche Aussprache erst mal gewöhnt hatte, fiel es ihr gar nicht mehr so schwer, ihn zu verstehen. Und das war auch gut so, denn als sie ihn nach Chester zu fragen begann, kannte er förmlich kein Halten mehr.
    »Es ist immer schlimm da gewesen, war immer vom Pech verfolgt. Weiß nicht, warum sie das verdammte Ding ausgerechnet da gebaut haben. Damals, ’41, boomte die Stadt. Und als dann der Krieg anfing, ging das erst richtig los. Und so viele Leute! Diese Stadt war damals wirklich sehenswert. Selbst die Gegend hier. Es war nie ein reicher Stadtteil, das ganz gewiss nicht, aber damals hatte das hier Stil. Ganz im Gegensatz zu heute.«
    Chess und Terrible sahen einander an. Earl schilderte etwas, das über achtzig Jahre zurücklag. Woher wollte er wissen, wie die Stadt damals ausgesehen hatte? Er sah ja alt aus, das schon, aber ...
    »Ich weiß, was ihr jetzt denkt.« Er lachte gackernd auf, ein Laut, bei dem Chess zusammenzuckte. »Ihr wisst nicht, wie alt ich bin, und ich weiß das selber auch nicht so genau. Aber ich war dabei, oh ja, und ich war vielleicht ’n bisschen älter als Terrible jetzt ist, und ich erinnere mich noch genau. Viele von uns haben geschimpft, als sie den Flugplatz gebaut haben. Es war nicht recht, dieses Land wieder zu nutzen, nein, das war nicht recht.«
    Chess beugte sich vor. »Wie meinst du das? Das Land wieder zu nutzen?«
    Earl nahm einen tiefen Zug aus der Pfeife und stieß dunkelbraunen Rauch aus. »Dazu komme ich schon noch. Nicht drängeln.«
    »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, Earl.«
    »Fang du nicht auch noch an, mich zu drängeln. Ich erzähle das auf meine Weise, und dann dauert’s halt ein bisschen. Wenn ihr wollt, dass ich erzähle, erzähle ich. Also: Entspannt euch.«
    Terrible hob eine Augenbraue, erwiderte aber nichts. Earl nickte und fuhr fort.
    »Ein paar von uns haben versucht, denen das auszureden, als es noch in der Planung war. Da zu bauen, meine ich. Damals gab es ja im Grunde Land ohne Ende. Es war so

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