Geisterflut
gut fünfzehn Meter entfernt, an einer unscheinbaren Stelle.
»Bleib doch bitte mal stehen!« Er griff nach ihrem Unterarm.
Sie riss sich los. Ihr Herz pochte heftig, und wo er sie angefasst hatte, hatte sie ein schmieriges Gefühl, als hätte er einen blutigen Abdruck hinterlassen. Von seinen Händen, mit Brains Blut daran. »Verpiss dich, klar? Ich will nicht mit dir reden, ich will überhaupt nichts mehr mit dir zu tun haben! Wieso schnallst du das nicht? Du hast mich geschlagen, Doyle, verdammt noch mal, und du steckst da mit drin in dieser -. Was ist?«
Doyle starrte mit großen Augen über ihre Schulter hinweg. Ein ersticktes Keuchen drang aus seiner Kehle.
Terrible kam auf sie zu. Er ging eigentlich ganz entspannt, doch die Art, wie er Doyle fixierte und wie der Reifenmontierhebel in seiner Hand baumelte, sagte alles.
Doyle wandte sich abrupt ab und lief los. Terrible beschleunigte sein Tempo nicht. Der Montierhebel flog ihm aus der Hand, seitwärts rotierend wie ein Frisbee. Chess blieb kaum Zeit, Luft zu schnappen, da knallte der Hebel Doyle auch schon von hinten an die Beine, und er ging zu Boden.
Sein Schrei wurde vom Nebel gedämpft und vom Klirren des Hebels auf dem Betonweg übertönt, ging Chess aber dennoch durch Mark und Bein. Ihr stellten sich die Nackenhaare auf. Terrible ging immer noch nicht schneller und sah sie, als er an ihr vorüber ging, nicht einmal an. Er bewegte sich so zielstrebig und unaufhaltsam wie ein Fluss, der sich im Schlamm ein neues Bett gräbt.
Doyle hatte sich schon halb wieder hochgerappelt, als Terrible bei ihm ankam und ihn mit einem Tritt ans Kinn erneut zu Boden streckte.
Sie befanden sich am Rande des Grundstücks. Zwei Meter weiter ging es in eine Rasenfläche über, und Doyle, der wehrlos wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag, drehte sich auf den Bauch und versuchte, dorthin zu kriechen. Er kam jedoch keine zehn Zentimeter weit. Terrible hob ihn hoch und warf ihn - warf ihn - auf den Rasen.
»Warte mal, warte mal«, sagte Doyle, rappelte sich vom Boden hoch und streckte abwehrend die Hände aus. »Ich zeig dich an, ich -«
Terrible rammte ihm eine Faust in die Magengrube, und er klappte zusammen. Der anschließende Aufwärtshaken schleuderte ihn rücklings auf das feuchte Gras.
Terrible riss ihn an den Haaren wieder hoch. Doyle unternahm einen kläglichen Versuch zurückzuschlagen.
Noch ein Fausthieb. Und noch einer. Blut spritzte, lief Doyle aus Mund und Nase, landete auf seinem Hemd und auf dem Gras. Er fiel auf die Knie, mit hängenden Schultern, und wenn sein dichtes, glänzendes Haar nicht gewesen wäre, hätte man ihn kaum mehr erkannt. Allerdings hatte sie ihn gerade wegen der Haare schon mal mit Randy verwechselt.
Chess sah zu dem Haus hinüber, in dem Randy Duncan wohnte. Es fehlte ihr gerade noch, dass er das hier mit ansah. Bis zum nächsten Morgen wüsste dann jeder in der Kirche, dass Chess mit einem Mann vorbeigekommen war, der Doyle zusammengeschlagen hatte. Randy war nicht fähig, etwas geheim zu halten.
So ging es aber den meisten Leuten, die so dringend beliebt sein wollten wie er.
Terrible ließ Doyle los, der wie ein nasser Sack zu Boden fiel. Nur das schwache Stöhnen, das aus seinem Mund kam, verriet Chess, dass er überhaupt noch am Leben war.
Sie hörte Terribles Schnappmesser, und das brachte sie schließlich dazu, sich einzuschalten. »Terrible! Nein!«
Er sah sie nicht mal an. Vielmehr kniete er sich neben Doyle, drehte ihn auf den Rücken und legte ihm die Klinge an die Kehle.
»Hast du vor, sie jemals wieder anzurühren?«, fragte er in neutralem Tonfall, so als würde er über das Wetter plaudern oder sich nach dem Weg zur nächsten Tankstelle erkundigen.
Doyle schüttelte vorsichtig den Kopf. Chess, die den Anblick seiner völlig verängstigt blickenden Augen nicht ertragen konnte, wandte den Blick ab und sah, dass er sich in die Hose gemacht hatte.
»Gut. Wenn du sie jemals wieder anrührst, bring ich dich um. Klar?«
Doyle nickte zaghaft.
»Chess? Willst du ihn noch was fragen?«
»Ist der Älteste Griffin auch daran beteiligt?« Es war nicht die Frage, die sie eigentlich hatte stellen wollen, sondern die erste, die ihr über die Lippen kam. Aber es war wahrscheinlich die wichtigste Frage.
»Was?«, erwiderte er mit schwerer Zunge.
»Ist der Älteste Griffin auch daran beteiligt? Steckt ihr unter einer Decke?« Als Doyle sie nur stumm anstarrte, verschränkte sie ungeduldig die Arme vor der Brust. »Die
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