Geisterflut
Feuerschale und setzte die Mischung in Brand. »Möge die Macht, meine Macht, rein werden.«
Energie, unsichtbar, aber spürbar, umströmte sie; die Energie der Erde und der Luft, die Energie, die allen Lebewesen innewohnte und die Chess dank der Kirche zu lenken gelernt hatte. Sie wedelte den Rauch mit beiden Händen zu Terrible und der Tür, sodass er sie komplett einhüllte. Ihre Haut erwärmte sich, doch das kam nicht von den magischen Wehren der Tür, sondern daher, dass ihr Zauber zu wirken begann.
Nur eins noch: ein von der Kirche entwickelter Gegenzauber. Goody Tremmell hatte doch sicherlich ein Kirchen-Wehr genutzt, um diesen Lagerraum zu schützen.
Chess drehte sich gegen den Uhrzeigersinn, schloss die Augen und spürte den Wirbel der Energie von ihren Zehenspitzen aus himmelwärts emporsteigen. Sie öffnete den Mund. Es wäre jetzt so einfach gewesen, die Worte nicht auszusprechen, sondern sich weiter von dieser Macht ergreifen und fortreißen zu lassen, sich immer weiter und weiter zu drehen, bis sie zerplatzen würde.
Doch die Worte kamen. »Hrentata vasdam belarium!«
Und mit diesen Worten flog ihr Zauber voran. Sie spürte, wie er durch die Tür drang und das magische Wehr in dem Lagerraum außer Gefecht setzte. Benommen strauchelte sie seitwärts. Ihre Füße, die in den falschen Schuhen steckten, fanden keinen rechten Halt. Terrible fing sie auf und riss dann die Hände zurück. Sie nahm es ihm nicht übel, denn sie konnte sich gut vorstellen, was er bei der Berührung spürte, während ihr selbst noch die Haare zu Berge standen. Für einen normalen Menschen musste das schon ein Schock sein, doch für jemanden, der vermutlich auch über eine gewisse magische Macht gebot - zwar nicht so viel, dass er für die Kirche hätte tätig werden können, aber doch genug, um über eine bestimmte Sensitivität zu verfügen -, musste es sich anfühlen wie ein Stromschlag von einem Elektroschocker.
Ohne abzuwarten, bis sich ihre Benommenheit wieder ein wenig gelegt hatte, nickte sie Terrible zu und packte den Griff, der rechts unten an der Tür angebracht war. Terrible ergriff den linken, und gemeinsam zogen sie die Tür hoch.
Ein regelrechter Schwall von Bösartigkeit schlug Chess ins Gesicht, wie der stinkende Atem eines bösen Riesen. Ihr brannten die Augen, ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr schlotterten die Knie. Das dauerte nur wenige Sekunden, doch als es vorüber war, hielt sie sich keuchend an der Ziegelmauer fest, die diesen Lagerschuppen von dem benachbarten trennte.
Kaum hatte sie sich gefasst, verschlug es ihr prompt erneut den Atem. Nicht aufgrund der Macht oder Magie, sondern weil sie sah, was sich in diesem Schuppen befand.
Da standen bergeweise Kisten voller magischer Utensilien und alter, zerlumpter Pergamente und an der Rückwand ein rostiges Regal voller Gläser und Flaschen. Sie sah Blut, Kräuter, Knochen, sah Skizzen aller möglichen magischen Symbole, auch einiger, die sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte.
Sie gab Terrible ein Paar Handschuhe, und gemeinsam begannen sie, die Kisten hastig zu durchforsten. Chess’ Herz weigerte sich, wieder auf ein normales Tempo zu verlangsamen: Sie hatte die magischen Wehre zwar außer Gefecht gesetzt, doch verschwunden waren sie deshalb nicht. Sie spürte, wie sie weiterhin in der Luft lagen und lauerten. Eine falsche Bewegung, ein falsches Wort, und sie wären wieder aktiviert und würden zuschlagen, ehe Chess wusste, wie ihr geschah.
Doch unwillkürlich - sie konnte es nicht verhindern - drang ihr ein Laut aus der Kehle, als sie ein besonders großes Pergament entrollte, ein kirchliches Schriftstück. Es steckte in einer Ecke wie nur vorübergehend dort abgelegt und strahlte keinerlei Energie ab.
Es war ein Stadtplan, eine Karte der Stadt der Ewigkeit. Wieso sollten sie ...? Gedankliche Puzzleteile fügten sich ineinander.
»Scheiße.« Ihr zitterten die Hände, als sie zu Terrible hinübersah und ihm die frisch entfachte Panik in ihrem Blick nicht verhehlte. »Das Fest. Darum geht es. Das Fest. Sie wollen die Geister wieder freilassen.«
Sie starrten einander an, einen Herzschlag lang oder vielleicht auch ein weniger länger. Dann öffnete Terrible den Mund und setzte sich in Bewegung, doch schon in diesem Augenblick hatte Chess mit einem Schlag ein so unerträgliches Dröhnen in den Ohren, als wäre sie mit einem Kopfsprung in ein unergründlich tiefes Gewässer hinabgetaucht.
Sie hatte »Fest« gesagt. Und hatte damit den
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