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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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Antiseptikum stand in ihrem Schränkchen im Bad. Der beißende Arzneimittelgeruch stieg ihr in die Nase, als sie einen frischen Lappen damit tränkte und auf seine Wunde presste. Er zuckte ein wenig mit dem Arm, verzog aber keine Miene, als sie anschließend die Wunde säuberte, eine sterile Wundauflage draufdrückte und mit Heftpflaster fixierte.
    »Tut mir leid, das hat jetzt sicher ein bisschen wehgetan.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Nicht der Rede wert.«
    Sie ging in ihre kleine, schmuddelige Küche und nahm zwei Flaschen Wasser aus dem Kühlschrank.
    Es herrschte beklommenes Schweigen, während Terrible und sie dort saßen und Wasser tranken.
    Aber was sollte sie auch mit ihm reden? Sie kannte ihn ja kaum. Niemand kannte ihn näher. Und niemand wollte ihn näher kennenlernen. Man wollte nur weglaufen, wenn man ihn sah.
    Er räusperte sich, trank einen Schluck Wasser, räusperte sich erneut. »Nette Wohnung.«
    »Danke.«
    Aber das stimmte nicht. Die Wohnung war kahl und schlicht und öde, bis auf das große Buntglasfenster, das eine ganze Wand einnahm. Doch wenn sie einen Großteil ihrer Zeit in Bumps Wohnung hätte verbringen müssen, hätte sie es hier wahrscheinlich auch ganz nett gefunden.
    »Also, was meinst du, Chess? Spukt es in Chester?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich würde mir das gerne mal bei Tageslicht ansehen.«
    »Morgen?«
    »Morgen ist Samstag. Da muss ich in die Kirche.«
    »Ach ja. Und es würde auffallen, wenn du nicht kommst?«
    »Ja.«
    Er nickte langsam und stand auf, wobei er die Wasserflasche in der Hand behielt. »Ich sprech mit Bump, erzähl ihm, was passiert ist.«
    »Danke.«
    An Schlaf war nicht mehr zu denken, nachdem Terrible gegangen war. Es sah so aus, als würde sie die Nacht durchmachen, ob sie wollte oder nicht. Sie zuckte mit den Achseln und machte sich noch eine Line zurecht. Wenn dem so war, konnte sie es ja auch ein bisschen genießen, ein paar Filme gucken, sich die Haare färben - ihre rötlichen Wurzeln begannen schon unter dem Schwarz hervorzulugen - ehe sie dann am nächsten Morgen zur Kirche musste.
    Normalerweise kam sie in der Kirche an, bevor die Geißelungen begannen, damit sie sich das nicht mit ansehen musste. An diesem Morgen jedoch war sie so damit beschäftigt gewesen, ihre CDs zu sortieren, dass sie ganz die Zeit vergessen hatte und erst um fünf vor neun dort eintraf, als die anderen Kirchgänger bereits mit Tüten voll überreifem Obst und Stöcken warteten.
    Doch sie guckten Chess gar nicht an, ja, sie bemerkten sie kaum. Dennoch fühlte sie sich allen Blicken ausgesetzt, so als würde sie jeder aus dem Augenwinkel beobachten und nur darauf warten, dass sie ihm den Rücken zukehrte, um sogleich mit Flüchen und Schlägen über sie herzufallen. Sie vergaß oft, dass es dazu nicht kommen würde und dass dieser Teil ihres Lebens an dem Tag vorüber gewesen war, an dem sie die Ausbildung bei der Kirche angetreten hatte.
    Zwei rangniedere Älteste führten den ersten Büßer auf den Platz, einen großen, bärtigen Mann. Mit nackten, staubigen Füßen schlurfte er widerwillig auf den Pranger zu, doch sein Gesichtsausdruck stand in scharfem Gegensatz zu seiner Körpersprache. Er konnte es gar nicht erwarten, beschimpft zu werden und sich durch Besudelung reinzuwaschen. Was konnte er getan haben? Hatte er einen Eid gebrochen oder ein Informationsverbrechen begangen? Er trug nicht die Handschuhe eines Diebs, und daher nahm sie an, dass er für ein moralisches Vergehen büßte - Ehebruch vielleicht.
    Chess blieb nicht stehen. Sie überquerte den Platz und ging an dem großen Steindenkmal vorüber, das an die Woche der Geister von 1997 gemahnte, und wie immer senkte sie kurz den Kopf aus Achtung vor den Millionen Menschen, die damals in der ganzen Welt ums Leben gekommen waren.
    Sie selbst konnte sich an diese Woche nicht erinnern, denn sie war damals noch zu klein gewesen. Sie wusste nur, dass ihre Eltern nicht den Geistern zum Opfer gefallen waren; zumindest war der Tod ihrer Eltern nicht der Grund dafür, dass sie nun der Kirche angehörte. Sie hatten sie lange vorher weggegeben. Doch die Geschichte jener Woche kannte sie natürlich - die kannte ja jeder. Sie konnte sich jedoch nur vage vorstellen, wie es gewesen sein musste, als sich die Leute betend und weinend in Kirchen, Wohnungen, Schulen zusammendrängten, nachdem die Toten als lautlose Geister aus ihren Gräbern auferstanden waren, auf der Suche nach den Lebenden durch Mauern

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