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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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winzigen Nip-Krümelchen nicht zu beachten, die von ihrer Haarnadel herabrieselten. Ihr juckte der Fuß, aber sie wagte nicht, sich zu bewegen - nicht auf dieser ächzenden Eisentreppe.
    Dann glaubte Bruce also, die Stadt der Ewigkeit sei in Unruhe versetzt? Hm.
    Der Großälteste hatte mit seinen Einwänden ja nicht Unrecht. Wenn die alljährliche Geisterwoche näher rückte, herrschten immer dieselben astrologischen und atmosphärischen Bedingungen, die es den Toten damals ermöglicht hatten, wiederaufzuerstehen: Die Planeten richteten sich entsprechend aus, und währenddessen schwoll die Macht so weit an, dass die Geister genug abbekamen, um ausbrechen zu können. Die perfekte Konstellation hielt natürlich nur kurz an, doch anschließend dauerte es immer eine Weile, bis die Verhältnisse sich wieder normalisiert hatten.
    Trotz ihrer uneingeschränkten Zuneigung und Achtung der Kirche gegenüber hatte sich Chess immer gefragt, ob dieses Fest nicht mehr war als nur eine Gelegenheit, den Leuten vor Augen zu halten, was sie der Kirche zu verdanken hatten, nämlich ob es nicht vielmehr etwas Unvermeidliches war: Die Toten mussten ab und zu auf kontrollierte Weise aus der Stadt der Ewigkeit herausgelassen werden, unter Aufsicht der Kirche und der Psychopomps, sonst würden sie auf eigene Faust entfliehen - mit womöglich desaströsen Konsequenzen.
    Nicht dass das einen Unterschied machte. Das Fest fand so oder so statt, und damit hatte sich's.
    »Gut, Großältester, ich sage es ihnen. Aber bitte, bitte, denkt darüber nach.«
    »Das werde ich. Geh jetzt, Bruce.«
    »Jawohl, Sir.«
    Das Jucken in ihrem Fuß begann wehzutun. Der Großälteste blieb an Ort und Stelle stehen, den Blick starr auf die Fahrstuhltüren gerichtet. Wieso ging er nicht weiter? Er hatte doch sicherlich viel zu tun, und sie musste sich ganz dringend am Fuß kratzen und sich einen kleinen Muntermacher reinpfeifen.
    »Was ängstigt die Toten?«, murmelte der Großälteste und schüttelte den Kopf. »Was könnte den Toten Angst einjagen?«

6
    »Und daher heiße diese Stadt fortan Triumph City,
    denn sie ist die Stätte des Triumphs der Wahrheit.«
    Aus der Einweihungsansprache des Großältesten vom
    1. Dezember 1997 (nach der Wahrheit)
    Die Symbole auf dem Amulett fanden sich in keinem Standardwerk, was Chess aber nicht wunderte. Wenn sie in einem drinstünden, hätte sie sie auch auf Anhieb erkannt. Aber es konnte ja nie schaden, noch einmal nachzuschauen, also tat sie das, ging sämtliche Alphabete durch und stieß nur auf eine einzige Entsprechung.
    Etosh.
    Dieses Wort wurde jedoch nur in einem Beispiel im Zusammenhang mit einem anderen Symbol erwähnt. Eine Bedeutung dafür wurde nicht angegeben. Hier kam sie also nicht weiter.
    Im Sonderarchiv, in das nicht jeder reindurfte, hätte sie wahrscheinlich mehr erfahren können, doch heute hatte Goody Glass Dienst, und die hasste sie wie die Pest. Das beruhte allerdings auf Gegenseitigkeit. Chess wollte die ewig neugierige Goody mit ihrer spitzen Nase und den Barthaaren unterm Kinn nicht um Zugangserlaubnis bitten. Sie würde viel zu viele Fragen stellen.
    Daher ging sie stattdessen zu den Aktenschränken und musste zweimal hinsehen, als in ihrem Blickfeld ein ihr bekannt vorkommender Hinterkopf auftauchte. Es war dann aber doch nicht Doyle, sondern Randall Duncan, ein Kollege. Bei genauerem Hinsehen waren die beiden eigentlich nicht zu verwechseln: Doyle hatte glänzendes, gepflegtes Haar, Randys hing einfach nur struppig herab — er hatte wohl einfach keinen Bock, mal zum Friseur zu gehen.
    Er blieb stehen, als hätte er ihren Blick gespürt, und als er sich umsah, hellte sich sein Gesicht auf.
    »Hey, Chess! Ich hab dich vorhin schon gesucht, hab dich aber nicht gesehen.«
    Bei jedem anderen hätte sie sich nach dem Grund erkundigt, doch bei Randy war das nicht nötig. Er würde es ihr schon von allein verraten, denn Subtilität zählte wirklich nicht zu seinen Stärken.
    »Alles bestens bei dir, Randy?«
    Er nickte. »Hab das mit den Sanfords gehört. So ein Pech aber auch.«
    »Ja. Ich hab aber gerade einen neuen Fall übertragen bekommen, und der sieht ganz vielversprechend aus. Ich könnte das echt gut gebrauchen.«
    Er nickte. »Könnten wir das nicht alle? Na ja, bis auf Doyle, der hat das ja wohl nicht mehr nötig.«
    Sie verdrehte beipflichtend die Augen und wünschte, er würde sich wieder vom Acker machen. Die Unterhaltung kostete sie wertvolle Zeit. Sie wollte in den Akten nachsehen,

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