Geisterflut
Science-Fiction- und Technik-Fan. Die großen Namen der Fantasy-Literatur waren allesamt vertreten: Tolkien, Card, Williams, daneben auch Sagan, Heinlein, Sturgeon und Straub ... aber überhaupt keine technischen Ratgeberbücher, kein einziger Idiot’s Guide, was ausgesprochen verwunderlich war, denn als sie sich noch ein wenig länger dort umsah, fiel ihr das unter dem Bett hervorlugende Kabelbündel auf und das leere Rack unter dem Flachbildfemseher in der Ecke. Albert kam ihr vor wie ein A.-V.-Club-Leser, und solche Jungs verschlangen Bücher über Hackerangriffe und Spezialeffekte, und sie beschäftigten sich mit digitaler Bildbearbeitung und Heimkinotechnik.
Das würde sie sich beim nächsten Mal noch genauer ansehen.
Anschließend ließ sie sich von den Mortons das Gästezimmer, das Bad und das Elternschlafzimmer zeigen. Anzeichen für geradezu verzweifelt anmutende Aufwärtsbestrebungen waren über das ganze Haus verstreut: im Elternschlafzimmer eine schöne Frisierkommode, die jedoch nicht zu den Nachtschränken passte, und kostspielige Feuchtigkeitscremes auf einer gesprungenen Kachelablage im Bad. Das neben dem Bett liegende Exemplar des Buchs der Wahrheit war so ausgerichtet, dass das Licht in dem Moment, da man das Zimmer betrat, die Goldlettern des Einbands bestens zur Geltung brachte.
»Da war es«, sagte Mrs. Morton und wies mit einer nervösen Handbewegung auf eine Stelle einen halben Meter links von sich. Diese Bewegung und auch etwas an Mrs. Morton selbst kamen Chess nun vage bekannt vor. Vielleicht ging die Familie ja gelegentlich zur Kirche, und Chess hatte sie dort gesehen. »Wie gesagt: Ich lag im Bett, und ... es schwebte da einfach nur und sah mich an. Es sah sehr wütend aus, und ich wusste überhaupt nicht, was ich machen sollte ...«
Das war lächerlich, reine Zeitverschwendung. Chess schaltete den Rekorder und das Spektrometer ab und steckte die Geräte ein.
»Fürs Erste habe ich genug gesehen. Lassen Sie uns doch wieder ins Wohnzimmer gehen. Dann können Sie die Beschwerde unterschreiben, und wir können anfangen, die Sache zu bearbeiten.«
»Aber ... Sie haben den Geist ja gar nicht gesehen. Spielt das gar keine Rolle?«
Chess schloss den Reißverschluss an ihrer Tasche und stellte dabei fest, dass ihre Hand ein wenig zitterte. Sie warf einen Blick auf den Wecker am Bett. Fünf vor neun. Das dauerte hier ja ewig, sie musste dringend weg.
»Wir sind noch längst nicht fertig«, erwiderte sie und bemühte sich, heiter zu klingen. »Die Ermittlungen werden mindestens ein oder zwei Wochen andauern. Es ging mir jetzt nur darum, die nötigen Formulare auszufüllen und einen Eindruck zu bekommen, womit wir es hier zu tun haben. Sie werden mich jetzt häufiger sehen, Mrs. Morton, keine Sorge.«
Mrs. Morton lächelte matt. Betrüger hörten so etwas natürlich nicht gern. Und die Mortons waren Betrüger, das wusste sie. Das Spektrometer hatte keinen Mucks von sich gegeben. Das war in einem geschlossenen Raum, in dem sich angeblich Geister aufgehalten hatten, ausgesprochen ungewöhnlich.
Was ein »geschlossener Raum« auch bedeuten konnte, würden die Mortons nur allzu bald erfahren - falls Chess Recht hatte und sie die Sache tatsächlich vortäuschten. Die Kirche reagierte nicht gnädig auf Versuche, sie zu bestehlen; und Mr. Morton würde enorme Schwierigkeiten haben, von einer kleinen blauen Zelle aus seinem Optikerberuf weiter nachzugehen.
»Unterschreiben Sie mir schnell die Papiere, und dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen A-«
Hinter Mr. Morton huschte etwas durch die Luft, und zwar so schnell, dass Chess einen Augenblick brauchte, bis ihr klar wurde, dass sie sich das nicht nur eingebildet hatte. Eine schwarze, geduckte Gestalt, so groß wie ein Mensch. Sie meinte, sie hätte eine Kapuze und eine aufblitzende Klinge gesehen, ehe die Erscheinung in Richtung Wandschrank verschwand.
Es hatte fast wie ein Trickfilm gewirkt, wie ein an die Wand projiziertes Bild, doch andererseits war es lange her, dass sie sich einen Trickfilm angesehen hatte, da konnte sie sich auch täuschen.
Worin sie sich jedoch keinesfalls täuschte, war das Unbehagen, das sie empfand. Und es war mehr als nur das Unbehagen, mit dem ihr Körper sie an seine Bedürfnisse erinnerte - zumindest glaubte sie das. Mist, sie hätte nicht damit warten sollen, ihre Pillen einzuwerfen. Das brachte sie komplett aus dem Konzept. Zum ersten Mal meldeten sich bei ihr leichte Zweifel. Entzugserscheinungen oder
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