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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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die dunklen Tiefen dieses Brunnenschachts hinabwagen, um einem Toten ein Seil um den Leib zu schlingen, und sie war auch nicht stark genug, um Terrible wieder heraufzuziehen, falls er das übernehmen würde. Der Mann war über eins neunzig groß und so schwer gebaut wie der schwarze 69er Chevelle, den er fuhr.
    Chess trat vorsichtig an den Rand des Schachts und hielt die Taschenlampe senkrecht nach unten. Zuerst glaubte sie, Terrible hätte sich getäuscht und es sei doch ein totes Tier. Dann jedoch glitt der Lichtstrahl über ein weißliches, starres Augenpaar, und sie sah den offenen Mund und das teigige Gesicht.
    Der Leichnam war tatsächlich entstellt, jedoch anders, als sie erwartet hatte. Es war keine zerstückelte Leiche. Vielmehr war die Person vorn aufgeschlitzt, und man hatte das Brust- und Bauchgewebe zur Seite gerissen, sodass die Rippen zu sehen waren. Und soeben huschte eine Ratte über die dunkelrote, unkenntliche Masse, die von den inneren Organen übrig war.
    Chess war nicht so hart im Nehmen wie Terrible. Sie schaffte es kaum, von dem Schacht fortzuwanken, knickte in den Knien ein und erbrach die Reste der Nudeln und der Cola, die sie auf dem Markt zu sich genommen hatte. Tränen brannten ihr in den Augen, und ihr lief die Nase, aber sie konnte sich nicht mehr rühren, konnte nichts dagegen unternehmen, bis der Erdboden aufhörte, sich unter ihr zu drehen.
    Debunker waren keine ausgebildeten Mordermittler. Sie bearbeiteten jedoch oft Kriminalfälle, die etwas mit Hexerei zu tun hatten, da dabei angewandte Praktiken häufig mit Geistererscheinungen einhergingen. Der Anblick dieser Leiche hatte etwas in ihr ausgelöst - abgesehen von der Übelkeit und ihrer Scham, jetzt wie ein Weichei dazustehen: Ihr war eine vage Erinnerung gekommen. Sie würde sich die Leiche näher ansehen müssen, so widerwärtig die Vorstellung auch war.
    Terrible stupste sie an der Schulter an und hielt ihr ein halbwegs sauber wirkendes Taschentuch hin. Sie atmete tief durch und wischte sich damit übers Gesicht. »Danke.«
    Er zuckte nur mit den Achseln, bückte sich zu ihr hinunter und hielt ihr noch etwas anderes hin: ein kleines schwarzes Fläschchen. Komisch, sie wäre nie auf die Idee gekommen, er könnte irgendwelchen Gesundheitstrends folgen.
    »Cardesca?«
    Er nickte.
    »Nein danke.«
    »Nimm es einfach, Chess. Das wirkt.«
    Sie machte sich auf einen bitteren Geschmack gefasst und stellte dann fest, dass es gar nicht so schlimm schmeckte. Nur ihre Augen begannen wieder zu tränen. Terrible hatte Recht: Ihr Magen beruhigte sich augenblicklich, und sie bekam wieder einen klaren Kopf. Viele Typen hatten sich angewöhnt, Cardesca dabeizuhaben, wenn sie saufen oder Drogen nehmen wollten, da das Zeug angeblich einen Kater verhinderte. Dass man für ein kleines Fläschchen davon über hundert Dollar hinblättern musste, schadete nicht, wenn es darum ging, den großen Macker zu markieren. Und vielleicht wirkte es ja tatsächlich.
    »Danke«, sagte sie noch mal und gab ihm das Fläschchen zurück.
    Er steckte es ein und zückte sein Mobiltelefon. Chess stellte keine Fragen. Er würde Bump anrufen, und irgendwann im Laufe dieses Abends würde sie Bump mitteilen müssen, dass es auf dem Flugplatz, den er wieder in Betrieb nehmen wollte, entweder tatsächlich spukte oder dass dort eine andere, richtige finstere Scheiße abging.
    Bedauerlicherweise musste sie auf Ersteres hoffen. Denn schwarze Magie zu bekämpfen - davon war nie die Rede gewesen.
    Der Horizont leuchtete schon in den Farben des Sonnenuntergangs, als die grausigen Überreste schließlich aus dem Brunnenschacht gehievt wurden. Chess stand etwas abseits, rauchte eine Zigarette nach der anderen und sah Bumps Männern dabei zu, wie sie geschäftig hin und her liefen und so taten, als wären sie viel zu hart drauf, als dass ihnen der Zustand der Leiche etwas ausmachen könnte. Sie debattierten lange über die beste Methode, den Toten zu bergen, und nachdem sich alle Vorschläge als nicht praktikabel erwiesen hatten, wurden zwei Pechvögel in den Schacht abgeseilt.
    Als sie den Toten im Gras abgelegt hatten — wie man an dem zottigen Kinnbart sah, handelte es sich um einen Mann - bot er einen noch schlimmeren Anblick als zuvor. Er war nackt, seine Genitalien fehlten und von seiner Bauchgegend waren fast nur noch Rippen und Wirbelsäule übrig. Die weißen Arme und Beine lagen im Gras ausgestreckt und leuchteten in der Abenddämmerung.
    Chess schluckte noch einmal trocken

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