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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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zur Hölle. Eine Hölle gab es streng genommen nicht, aber die Stadt der Ewigkeit gab es durchaus, und Chess wollte nicht schon wieder unter die Erde. Nicht nach dem, was sie am Vortag durchgemacht hatte, am liebsten eigentlich nie mehr. Panische Angst begann in ihr aufzusteigen. Sie sah Terrible an und schöpfte Trost aus seinem festen Blick, den prallen Muskeln und den Riesenpranken.
    Er nickte. »Keine Bange.«
    Sie seufzte. »Also gut. Danke. Dann wollen wir mal sehn, was ich da unten finde.«
    Sie setzte sich auf die Kante und ließ die Beine in den Schacht baumeln. Wenn das Beten noch gestattet gewesen wäre, hätte sie das jetzt getan.

12
    »Von allen Formen der Magie ist die,
    welche von der menschlichen Seele Gebrauch macht,
    die schwerwiegendste, und ihre Anwendung ist daher
    Angehörigen der Kirche vorbehalten.«
    Das Buch der Wahrheit, »Gesetze«, Artikel 79
    Dann wurde sie gleichsam vom Erdboden verschluckt und hing in der vage nach Kupfer riechenden Dunkelheit, bis sie ihre Taschenlampe anknipste und den Lichtstrahl auf die Schachtwand richtete. Das Messgerät in ihrer Tasche machte keinen Mucks. Sie sah keine Mauerlücken, keine auf den ersten Blick erkennbaren Verstecke. Sie hatte auch nicht damit gerechnet. Vergewissern musste sie sich trotzdem, und notfalls könnte sie anschließend so tun, als hätte sie die eventuell entdeckten Geräte nicht gesehen - außer sie würden jedem sofort ins Auge springen. Es war schließlich durchaus denkbar, dass Bump ihre Arbeit von jemandem nachprüfen ließ. Kein angenehmer Gedanke.
    »Tiefer«, sagte sie, und Terrible seilte sie gehorsam ein Stück weiter ab.
    In dem Brunnenschacht roch es nach Wasser, doch als sie die Taschenlampe nach unten richtete, spiegelte sich das Licht nicht. Der Brunnen war trocken ... aber sehr, sehr tief. Sie konnte ihn unmöglich bis auf den Grund untersuchen.
    Mit der rechten Hand fuhr sie über die Schachtmauer und suchte nach losen Steinen, während sie mit der Linken die Taschenlampe hielt. Das Seil tat ihr weh und erschwerte ihr das Atmen, was ihr Unbehagen nicht eben linderte.
    Sie blieb etwa zwanzig Minuten lang in dem Schacht und ließ sich so weit absenken, wie das Seil reichte. Dann bat sie Terrible, sie wieder hochzuziehen.
    »Nichts«, sagte sie, als sie wieder auf festem Boden stand, löste den Seilknoten und unterdrückte den Drang, sich die schmerzende Brust zu massieren. »Ist das der einzige Brunnenschacht hier?«
    »Nee, da drüben ist noch einer.« Er zeigte quer über das Gelände. Mist. Da hätte sie das Seil gleich umbehalten können.
    Sie stapften über bräunliches Grasgestrüpp und Asphalt. Chess fühlte sich zusehends klebrig dank der für die Jahreszeit ungewöhnlichen Wärme, und außerdem kam sie sich mitten auf dem freien Rollfeld, wo sie von allen Seiten zu sehen waren, völlig schutzlos vor.
    »Machst du so was oft?«
    »Was?« Fast wäre sie über einen Betonbrocken gestolpert.
    »In Brunnen steigen - oder auf Dachböden.«
    »Manchmal. Aber unterirdisch arbeite ich eher nicht.«
    »Klar. Als Kirchenhexe ...«
    »Genau.«
    »Dann wäre also das beste Versteck das, wo keiner hinwill?«
    »Die meisten Leute haben Muffe, unter die Erde zu gehen. Es will ja keiner der Stadt der Ewigkeit zu nahe kommen.«
    Er sah sie an. »Die machen sich alle in die Hose. Bloß du nich.«
    Niemand hatte sie je als tapfer bezeichnet. Ihr wurde noch wärmer im Gesicht. »Ich mache das auch nicht gern. Es ist respektlos.«
    »Und wieso machst du es dann?«
    »Ich muss doch überall nachsehen.«
    »Nein, ich meine: Wieso machst du diesen Job? Stehst du auf Geister?«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ich verdiene damit mein Geld.«
    »Geld kann man auch anders verdienen.«
    »Und wieso arbeitest du für Bump?«
    Sie erwartete eine schnodderige Antwort, doch stattdessen sagte er: »Weil es das einzige ist, was ich gut kann.«
    »Was? Leute zusammenschlagen?«
    Er nickte. »Ich bin nich zur Schule gegangen, hab keine Familie. Bump hat mich bei sich aufgenommen, als ich noch ein kleiner Junge war. Damals hab ich mich auf der Straße um was zu Essen gekloppt und hab geschlafen, wo’s grade ging. Heute muss ich mich nich mehr kloppen. Mit mir legt sich keiner mehr an.« Bei dem letzten Satz zeigte sich ein Anflug von Stolz auf seinem Gesicht.
    Chess hatte es vermutet. In Downside, wo es ebenso viele Straßenkinder wie streunende Hunde und Katzen gab, war das eine relativ normale Lebensgeschichte.
    »Was ist denn mit deinen

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