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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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sich in ihren Mund, fand ihre, begrüßte sie und verabschiedete sich gleich wieder, als er sich von ihr löste.
    »Na dann sind wir ja jetzt quitt«, sagte er und stieg in seinen Wagen. »Ruf mich an und halte mich auf dem Laufenden, ja?«
    Sie war noch nicht wieder so weit, dass sie Worte bilden konnte, da brauste Lex schon in der Morgendämmerung die Straße hinab.
    Als sie bei ihrer Ausfahrt vom Highway abfuhr, sah sie Rauch zum Himmel aufsteigen. Das war nicht ungewöhnlich. Mindestens einmal im Monat kippte irgendwo eine Feuertonne um, oder irgendein leer stehendes Haus fackelte ab, weil ein Junkie, dem es als Unterschlupf diente, mit brennender Zigarette in der Hand darin ohnmächtig wurde. Die rußgeschwärzten Gemäuer zwischen den intakten Häusern legten von der Armut in Downside stummes Zeugnis ab. Niemand blechte für den Abriss der Ruinen. Niemand opferte Kohle, um dort etwas Neues zu bauen. Und niemand trauerte um die Toten.
    Trauer wie früher, vor der Wahrheit, war natürlich auch nicht mehr üblich. Die Toten wurden eingeäschert, ihre Seelen in die Stadt der Ewigkeit gebracht und dort verwahrt. Nur gegen Zahlung einer unerschwinglichen Gebühr und mithilfe einer Verbindungsperson der Kirche konnten die Hinterbliebenen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Das lief alles geordnet und gesittet ab, unter lückenloser Kontrolle der Kirche, wie alles in den letzten dreiundzwanzig Jahren seit der Geisterwoche. Ja, es war dreiundzwanzig Jahre her. Der Jahrestag lag nur ein paar Wochen zurück.
    Doch Chess war jetzt nicht danach, an solche Dinge zu denken. Die Erschöpfung steckte ihr in den Knochen, ihr Kopf fühlte sich an wie mit Watte ausgestopft, ihre Hand schmerzte, und nicht nur die. Außerdem sehnte sie sich fast so sehr nach Schlaf wie nach einer weiteren Cept.
    Ihr klappriges kleines Auto - es pfiff aus dem letzten Loch, aber wie sollte sie sich ein neues leisten? - schlich an zugenagelten Fenstern und Wandschmierereien vorbei durch die verwaisten Straßen und glitt schließlich einen halben Block von ihrer Wohnung entfernt in eine Parklücke. Chess schnappte sich ihre Tasche und ihr Messer und stieg aus.
    Sie durchquerte die Eingangshalle ihres Wohnhauses, die früher einmal das Hauptschiff gewesen war, und ging die Treppe hinauf, nur um nach wenigen Stufen stehen zu bleiben. Es kam öfter vor, dass man dort auf Leute stieß, die vor Regen, Kälte oder irgendwelchen Bewaffneten Zuflucht suchten. Doch der Junge, der auf dem ersten Treppenabsatz hockte, hatte andere Gründe.
    »Chess«, sagte er, und sie erkannte ihn an der hellen, nervösen Stimme, bevor sie sein Gesicht richtig sah. »Kann ich mit dir reden?«
    »Was machst du denn hier, Brain?«
    »Kann ich mit dir reden?«, fragte er noch mal und blickte sich im Treppenhaus um, als rechnete er jeden Augenblick damit, dass sich jemand durch die Mauer auf ihn stürzte. Seine Nervosität gefiel ihr gar nicht. Wenn jemand hinter ihm her war, wollte sie nichts damit zu tun haben.
    Doch weder konnte sie ihm das sagen, noch konnte sie ihn wieder hinaus auf die Straße schicken. Er war noch ein Kind. Verdammt noch mal.
    »Also gut«, sagte sie und ging an ihm vorbei die Treppe hinauf. »Komm mit.«
    Es kam ihr vor, als wäre sie wochenlang nicht zu Hause gewesen. Sie hätte sich nicht groß gewundert, auf ihren Möbeln eine Staubschicht vorzufinden. Genauer gesagt, eine dicke Staubschicht.
    Brain machte die Tür hinter sich zu und stand dann im Flur. Er trat vom einen Bein aufs andere. In seinem kleinen Gesicht sahen seine Augen riesig aus, und sie glänzten wie Murmeln.
    »Also, Brain, was gibt's?«
    »Hunchback. Er ... er hat von neulich Nacht erfahren. Ich schätze mal, Terrible hat’s ihm erzählt. Er ist wütend auf mich, Chess. Sagt, er will mich nicht mehr sehn ...« Er zwinkerte hektisch, und sein schmaler Mund zuckte.
    Mist. »Was hat Terrible ihm denn erzählt?«
    »Er war wohl stinksauer. Weil Hunchback rumerzählt hat, dass es in Chester spukt und so. Und Hunchback gibt mir jetzt die Schuld und meint, ich wär wohl doch nich so schlau.« Sein viel zu großer schwarzer Mantel bauschte sich an den Schultern, als er die dünnen Arme vor der Brust verschränkte.
    »Ich weiß jetzt echt nich wohin. Kann ich vielleicht hier pennen? Nur ’n paar Stunden? Dann such ich mir was anderes. Ich kenn ’ne Menge Leute da draußen, irgendwer wird mir schon helfen. Die sind bloß um diese Uhrzeit noch nich wach.«
    Wie er dabei ihrem Blick auswich, sagte ihr,

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