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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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warm und hart und schmerzhaft fest um ihren Arm. Er riss sie vom Boden hoch, zog sie rennend hinter sich her und warf sich mit ganzem Leib gegen die Tür, um sie aufzubrechen. Das Gesicht kreischte ihnen nach, als sie davonliefen, doch es drang nichts aus der Hütte hervor, und kurz darauf herrschte Stille.
    »Meine Tasche«, keuchte Chess. »Ich hab meine Tasche da drin liegen lassen.«
    »Das ist ein Scherz, oder?«
    Sie schüttelte den Kopf. Es wehte ein so steifer Wind, dass sie kaum Luft bekam, aber vielleicht war es auch bloß das kalte Grausen, das ihr die Lunge eingefroren hatte. Tätowiert wie du, hatte er gesagt. Ein Mitarbeiter der Kirche? »Ich muss sie haben. Ich muss zurück und sie holen.«
    »Nichts da. Du bleibst hier.«
    Sie widersprach nicht. Sie sah nur zu, wie er zurück in die Hütte lief und wenig später mit der Tasche wieder herauskam. Die Fingerknöchel seiner Rechten waren blutig.
    »Was hat es dir getan?«
    Er sah hinab. »Das ist nicht mein Blut. Ich könnt ihm das ja wohl nich einfach durchgehen lassen, oder?« Er atmete schwer, und die Knöchel seiner anderen Hand waren weiß.
    »Setz dich mal, ja? Setz dich für eine Minute zu mir.«
    »Wir müssen hier weg. Jetzt ist er erst mal k.o., aber ...«
    »Bitte. Setz dich.«
    Er sank neben ihr zu Boden und saß da im Sand, die Beine angezogen, die Arme auf den Knien, und vor ihnen brandete der Ozean. Das Rauschen beruhigte Chess, doch sie glaubte nicht, dass sich das Brennen in ihrem Bauch auch so leicht besänftigen ließ. Diese Bilder, diese Erinnerungen ... Es kam ihr vor, als wäre alles gerade erst geschehen.
    »Danke. Ich meine: Danke, dass du das für mich gemacht hast. Ich hätte nicht gedacht, dass ... Also, ich wusste einfach nicht, dass es so -«
    »Is okay, Chess.« Er zuckte beiläufig mit den Achseln, wobei sein Blick auf den Ozean gerichtet blieb. »Dazu bin ich ja da.«
    »Nein, das war ... ich will gar nicht darüber nachdenken, was das war, und du konntest ja auch nicht -«
    »Vergiss es. Es ist vorbei, ja?« Jetzt blickte er sie an. Kurz sah sie die rot geränderten Augen in seinem bleichen Gesicht, dann wandte er sich wieder ab. »Es ist vorbei.«
    Was hatte er gesehen? Sie würde ihn keinesfalls danach fragen. Das war privat, so privat wie ihre Erinnerungen. Dennoch spürte sie eine Neugierde, die so irritierend und unwillkommen war wie ein Holzsplitter im Finger. Und sie hatte das Gefühl, ihm was schuldig zu sein, mehr noch und ganz anders noch als nach der Sache auf dem Flugplatz, wo er ihr auch beigestanden hatte ... Eigentlich hatte er ihr in den vergangenen Tagen etliche Male sehr geholfen, fiel ihr gerade auf. Und als sie hierher gekommen waren, war sie ganz einfach davon ausgegangen, dass er es wieder tun würde. Mist, wann war das passiert? Wann hatte sie angefangen, ihm zu vertrauen? Das hätte sie eigentlich nicht tun dürfen.
    Doch so war es nun, und außerdem war sie auch noch neugierig auf ihn. Sie vertraute ihm, und sie stand in seiner Schuld.
    »Weißt du«, sagte sie, hob etwas Sand auf und ließ ihn zwischen ihren zitternden Fingern durchrieseln, »in der Antike glaubten die Leute, das Meer hätte heilende Kräfte. Wenn man ihm Opfergaben darbrachte und nur lange genug am Ufer saß, würden alle Probleme mit der Flut fortgeschwemmt.«
    »Glaubst du, da ist was dran?«
    »Nein.«
    »Ich auch nich.«
    Sie standen auf und stapften den Hang hinauf. Sie ließen sich Zeit dabei. Irgendwann klebte Chess das Haar im nassen Gesicht, ob von Tränen oder von der Gischt, wusste sie nicht.
    Eine stumme Autofahrt, zwei Cepts und eine Line später saß sie im ordentlichen Wohnzimmer der Mortons und runzelte die Stirn. Nichts. Entweder waren diese Leute tatsächlich ganz besonders gut, oder sie selbst war komplett neben der Spur von dem ganzen Speed und den Pillen, die sie intus hatte. Jedenfalls guckten die Mortons so verängstigt, dass es ihr vorkam, als würde sie in einen Zerrspiegel blicken.
    Mist, hier stimmte etwas nicht. Sie hatte noch nie Probleme mit dem gehabt, was sie nahm, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Klar, es gab mal kleine Gedächtnislücken hier und da - auch deshalb machte sie sich immer ausführlich Notizen -, und manchmal musste sie jemanden bitten, etwas zu wiederholen, weil sie nicht so schnell mitkam, aber ... als sie nun bei den Mortons saß, kam sie sich vor wie im Windkanal.
    Und noch etwas war anders. Alle Lichter brannten, obwohl die Sonne noch gar nicht untergegangen war.
    »Ich

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