Geisterhafte Visionen
die Veränderungen begonnen?« fragte Tuvok.
Mit dem Tricorder sondierte er das jüngste Beben.
»Vor einem Jahr«, sagte Nan Loteth. »In der Nacht der dritten Sichel.«
Der Vulkanier nickte. »Und wie viele Beben waren so stark wie jenes, dem Captain Janeway fast zum Opfer gefallen wäre?«
»Viele. Die genaue Anzahl kenne ich nicht, aber sie kommen jetzt in kürzeren Abständen. Wir nahmen zuerst an, daß sich Berge und Boden wieder beruhigen würden, doch jetzt fürchten wir, daß alles noch schlimmer wird.« Der Drenarianer blickte zum dunklen, zornig wirkenden Himmel im Osten.
»Sie haben ein genaues Datum genannt«, sagte Janeway und sah in die gleiche Richtung. Sie wußte noch immer nicht, was sie von der ganzen Sache halten sollte. »Die dritte Sichel.«
»Handelt es sich dabei um ein religiöses Ereignis?« fragte Kim.
»Vielleicht«, erwiderte Nan Loteth.
»Soll das heißen, Sie wissen es nicht?« erkundigte sich Janeway erstaunt.
Der Blick des Drenarianers glitt einmal mehr zum Firmament empor. »Ich weiß nur, was ich durch mein Glas gesehen habe.
Die dritte Sichel unterscheidet sich von den beiden anderen. Sie ist kleiner und weist weitaus weniger Löcher auf.«
»Seltsam«, kommentierte Tuvok.
Kim musterte den Alten. »Was meinen Sie?«
»Den dritten Mond«, sagte Janeway und nickte sich selbst zu, als sie wie Nan Loteth zu dem matten Lichtstreifen sah, der am Himmelsgewölbe höher stieg. »Die Erdbeben begannen, als der dritte Mond eintraf?«
»Kurz danach, ja«, antwortete Nan Loteth.
»Vor einem Jahr?« fragte Tuvok.
»Ja. Und ich glaube nicht, daß sie aufhören werden, bevor der wandernde Mond wieder verschwindet«, sagte der Drenarianer.
Kapitel 9
Captain Janeway stand wie erstarrt, als sie plötzlich etwas verstand, das ihr schon vor einer ganzen Weile hätte klarwerden müssen. Tuvoks Miene deutete darauf hin, daß ihn die eigene Begriffsstutzigkeit mit Verlegenheit erfüllte.
Plötzlich paßte alles zusammen, und die Wahrheit wurde offensichtlich.
Die beiden größeren Monde bewegten sich in ähnlich
strukturierten Umlaufbahnen: Ein planetarer Beobachter gewann den Eindruck, daß sie einander hinterherjagten. Einer war Drenar Vier ein ganzes Stück näher als der andere, wodurch er den zweiten Mond gelegentlich zu überholen schien. Der Orbit des dritten und etwas kleineren Trabanten paßte ganz und gar nicht in dieses Bild.
Durch den Vorbeiflug des braunen Zwergs war das bis dahin stabile Gefüge aus Umlaufbahnen im Drenar-System
durcheinandergeraten. Vermutlich hatte der neue dritte Mond des vierten Planeten früher zu einem der äußeren Gasriesen gehört. Jetzt fügte er sein Gravitationsfeld den Gezeitenkräften der beiden anderen Monde hinzu. Das Ergebnis: eine Art kosmisches Tauziehen, das Drenar Vier zu verlieren drohte.
Wenn die Distanz zwischen den Monden auf ein Minimum schrumpfte, wenn sie sich, vom Planeten aus gesehen, in einer Linie formierten… Das war ein beachtenswertes Ereignis, gelinde gesagt.
»Die Frage lautet, wieviel Zeit haben wir noch?« murmelte Kim, der bereits eine Vorstellung von den Konsequenzen gewonnen hatte.
Tuvok betätigte die Schaltelemente seines Tricorders. »Ich versuche eine Berechnung«, verkündete er.
»Ja, bitte«, sagte Janeway und wartete. In vielen Bereichen wußte er genauso viel wie sie, doch als Vulkanier konnte er Daten schneller elaborieren und korrelieren.
Als die Sekunden verstrichen, wurde Janeway allmählich unruhig.
Kim erweckte den Eindruck, sich kaum mehr beherrschen zu können, und daraufhin fragte die Kommandantin: »Gibt es ein Problem, Tuvok?«
»Ja, Captain. Unter der planetaren Kruste sind gewaltige Magmamassen in Bewegung geraten, doch die Veränderungen in ihren Strukturen bleiben unvorhersehbar. Die allgemeine Destabilisierung wächst exponentiell. Zweifellos fällt Drenar Vier diesem Vorgang schließlich zum Opfer, wahrscheinlich in einigen Wochen, vielleicht in nur zwei oder drei. Aber…«
Tuvok sah zu Janeway, und sein leises Seufzen wies darauf hin, daß die nächsten Hinweise wenigstens zum Teil auf Spekulationen beruhten. Doch bei Tuvok mußte man auch solche Dinge in Erwägung ziehen. Er präsentierte nie etwas, das völlig ohne Hand und Fuß war.
»Fahren Sie fort«, sagte Janeway.
»Angesichts von Stärke und Häufigkeit der Beben halte ich es für möglich, daß die Kruste des Planeten schon viel früher auf eine katastrophale Weise aufbricht. Der Auslöser für einen solchen
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