Geisterhauch (German Edition)
gelangen.«
»Ja, so gut wie. Ab und zu trotzt ein Dämon der Leere und sucht nach einem Weg durch das Labyrinth. Es ist gefährlich, und kaum einer schafft es. Die meisten verirren sich in der Ewigkeit.« Er stieß meine Maus an, und der Computer erwachte aus dem Ruhezustand. Damit erschien mein Bildschirmhintergrund, Reyes’ Foto, genauer gesagt sein Fahndungsfoto, denn ein anderes hatte ich nicht. Er runzelte die Stirn.
Ich wäre am liebsten unter den Barhocker gekrochen. Aber wahrscheinlich hätte er mich trotzdem sehen können. »Was wolltest du sagen?«
»Ach ja.« Er konzentrierte sich wieder auf mich. »Wenn einer wie durch ein Wunder das Tor passiert, ist er trotzdem nicht wirklich hier. Er muss huckepack auf der Seele eines Neugeborenen reisen. Das ist für Dämonen der einzige Weg auf diese Ebene. Die Ebene, auf der wir beide leben«, erinnerte er mich.
»Aber du musstest das nicht tun, als du aus der Hölle geflohen bist.«
»Ich war anders. Ich konnte mich so mühelos zwischen den Ebenen bewegen, wie du durch eine Tür gehst.«
»Wie ist das möglich?«
»Es ist einfach so«, antwortete er ausweichend. »Ich wurde anders gemacht. Ich wurde zu einem bestimmten Zweck erschaffen. Als die gefallenen Engel aus dem Himmel geworfen wurden, wurden sie auch aus dem Licht verbannt, daher wurde ich gebraucht. Ich war ein Werkzeug. Ein Mittel zum Zweck. Doch auf der Erde geboren zu werden war vielleicht nicht meine klügste Entscheidung. Mein irdischer Körper hat mich zu verwundbar gemacht und sollte deshalb vernichtet werden. Die physische Evidenz des verborgenen Schlüssels.«
Als Reyes auf der Erde geboren wurde, erschien der Schlüssel, die Karte mit den Wegen zur Hölle, die ihm bei seiner Erschaffung auf den Körper geprägt wurde, auch auf seinem menschlichen Körper. Ich fragte mich, was seine Eltern damals dachten, was die Ärzte damals dachten: ein Neugeborenes mit einem Tattoo. Mir war nicht ganz klar, wie das alles zusammenhing, aber offenbar war das Tattoo das Mittel, das Satan einen Ausweg aus der Hölle verschaffte. Er hatte damit warten wollen, bis ein Portal geboren wurde. Und er schickte seinen Sohn auf diese Ebene, damit er an seiner Stelle darauf wartete. Im selben Moment hätte Reyes Satan und dessen Heere abrufen sollen. Stattdessen hatte er sich selbst auf der Erde gebären lassen. Um bei mir zu sein. Um mit mir aufzuwachsen. Doch er wurde seinen leiblichen Eltern geraubt, lange bevor sein Traum Wirklichkeit werden konnte.
»Wenn diese Dämonen durch das Tor gelangen«, erklärte er weiter, »haben sie den Schlüssel, und mein Vater kann entkommen. Und das wird er tun.« Er lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinterm Kopf. »Du weißt, dass das Ende der Zeit von jeher prophezeit wurde?«
»Ja.« Ich ahnte nichts Gutes.
»Diese Leute ahnen nicht, welche Hölle sie erwartet, wenn mein Vater den Schlüssel bekommt.« Er ließ die Arme sinken und beugte sich nach vorn. »Als Allererstes würde er dich holen kommen.«
»Das ist mir egal.«
Er heftete einen finster zweifelnden Blick auf mich. »Ist es nicht.«
»Doch. Du darfst deinen Körper nicht einfach sterben lassen. Wir wissen nicht, was passieren wird. Sie könnten dich trotzdem kriegen.«
»Sagen wir der Vollständigkeit halber, sie wären keine Bedrohung mehr und dass du fähig wärst, sie alle zu besiegen.«
»Ich?«
»Doch auch dann bleibt immer noch ein kleines Problem, das ich das Leben hinter Gittern nenne. Ich werde nicht wieder ins Gefängnis gehen, Dutch.«
Was? Darüber machte er sich Sorgen? »Ich verstehe nicht. Du kannst deinen Körper jederzeit verlassen. Die Gitter können dich nicht aufhalten.«
»So einfach ist das nicht.«
Wieder wich er mir aus. Verschwieg mir etwas. »Reyes, bitte sag es mir.«
»Es ist nicht wichtig.« Er schaltete den Computerbildschirm ab, als störte ihn das Bild plötzlich.
»Reyes.« Ich legte eine Hand auf seinen Arm, um ihm Aufmerksamkeit abzuschmeicheln. »Warum ist es nicht so einfach?«
Er blickte auf seine Stiefel. »Es gibt … eine Begleiterscheinung.«
»Wenn du deinen Körper verlässt?«
»Ja. Es sieht für Außenstehende so aus, als hätte ich einen Anfall. Wenn ich das zu oft tue, geben mir die Gefängnisärzte Medikamente gegen Anfälle, und die haben eine nicht hinnehmbare Nebenwirkung.« Sein Blick wanderte langsam aufwärts und begegnete meinem. »Solange die Medikamente wirken, kann ich meinen Körper nicht verlassen. Ich sitze im Gefängnis
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