Geisterhauch (German Edition)
daran, wie meine Stiefmutter mich ständig ansah.
Doch das war nicht das Einzige, was an mir nagte. Zum ersten Mal in meinem Leben war Reyes nicht erschienen, um mich zu retten. Das hieß, er war entweder mächtig sauer oder tot.
Es hatte lange gedauert, aber jetzt saß ich mit frisch verarzteter Wunde in der Notaufnahme. Die Wunde schloss sich offenbar bereits, und hatte einen Arzt und mehrere Schwestern verblüfft. Daher wurde sie nicht genäht, sondern nur geklebt.
»Ich rieche nach Kleber«, sagte ich zu Cook, die bei mir ausharrte. Der ganze Schriftkram dauerte länger als die Versorgung der Wunde.
»Ich kann es einfach nicht glauben«, rief sie aufgebracht, weil Dad mir nicht erzählt hatte, dass ein Strafentlassener ihn umzubringen drohte. »Wenigstens zu deinem Schutz hätte er das erwähnen müssen, anstatt dich vor der schlimmen Nachricht zu schützen, dass ein Verrückter ihn und seine ganze Familie bedroht.«
Onkel Bob kam zu uns. »Wie geht es dir?«
»Kommen Sie ihr bloß nicht so«, sagte Cookie voller Enttäuschung. »Sie sind genauso daran schuld wie er.« Sie zeigte auf Dad, der mit bandagiertem Kopf am anderen Ende des Patientenzimmers schlief. Er musste eine Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. War wahrscheinlich ganz gut so. Cookie stand kurz davor zu randalieren.
Meine Stiefmutter blickte auf, als Cookie sich Onkel Bob zur Brust nahm. Wirklich, der Mann hatte keine Chance.
»Gerade Sie hätten sie warnen müssen.« Cookie bohrte ihm den Finger in die Brust, um ihre Meinung zu unterstreichen, und ich wusste, Ubie würde gleich die Beherrschung verlieren. Ich sah mich schon mal nach einer Beruhigungsspritze um.
Stattdessen ließ er reumütig den Kopf hängen. »Wir haben einfach nicht gedacht –«
»Genau«, schäumte sie und stapfte hinaus, um nach einem Kaffeeautomaten zu suchen.
»Mann, könnten Sie sich mal zurückhalten?«, verlangte der Mann im Nachbarbett. »Ich habe eine Neun-Millimeter-Kugel im Kopf und höllische Schmerzen.«
Das leuchtete mir sofort ein, auch wenn ich diese Erfahrung noch nicht gemacht hatte. Ich wandte mich wieder Onkel Bob zu. »Hast du mich darum von Garrett beschatten lassen?«
Er schürzte die Lippen. »Das war der Hauptgrund.«
»Der andere war Reyes Farrow, der zufällig bei mir aufkreuzen könnte.«
»Das war der Nebengrund.«
Im Augenblick hatte ich von Männern die Nase voll. »Du konntest es also Swopes sagen, aber nicht mir?«
»Charley, wir wussten nicht, ob dieser Kerl wirklich aufkreuzt oder ob er bloß Scheiße labert. Er gab deinem Dad die Schuld am Tod seiner Tochter. Sie starb, als Caruso bei der Verfolgungsjagd seinen Wagen zu Schrott fuhr. Es war dein Dad, der ihn verfolgte. Als Caruso entlassen wurde, fing er gleich mit Drohanrufen an, er werde seine ganze Familie umbringen. Darum haben wir euch alle beschatten lassen. Dein Dad wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.«
In dem Satz fehlte nur noch: In deinem hübschen Köpfchen. So was Chauvinistisches hatte ich von Ubie noch nie gehört.
Wütend stand ich vor ihm. Zwei Wochen hatte mich jeder Mann in meinem Umfeld angelogen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und flüsterte: »Dann könnt ihr mich alle mal.«
Ich ließ mir den Verwaltungskram egal sein und ging hinaus, um nach Cookie zu suchen, meiner Mitfahrgelegenheit. Als ich an den Aufzügen vorbeikam, gingen die Türen auf und drinnen stand meine Schwester. Seufzend kam sie heraus. »Du hast es also überlebt?«
»Wie immer.«
»Wie geht’s Dad?«
»Der Arzt sagt, er wird wieder gesund. Er hat eine Gehirnerschütterung und ein paar geprellte Rippen, aber es ist nichts gebrochen. Er wird noch eine ganze Weile bewusstlos sein.«
»Gut. Dann komme ich morgen wieder.« Sie drehte sich um und lief einen Schritt vor mir den Gang hinunter, als wollte sie nicht mit mir in Verbindung gebracht werden. Wenn das so war, konnte ich ihr einen guten Grund dafür liefern.
Ich fasste mir keuchend an die Brust, brach an der Wand zusammen und hyperventilierte. Das heißt, ich versuchte zu hyperventilieren, ohne zu hyperventilieren, was gar nicht so einfach ist.
Gemma drehte sich mit einem bösen Blick zu mir um. »Was tust du da?«, fragte sie mit unterdrückter Wut.
»Mich überkommt eine schreckliche Erinnerung.« Ich griff mir mit schmerzverzerrtem Gesicht an den Kopf. »Als ich damals wegen der Mandeloperation im Krankenhaus lag, wollte ich abhauen. Das Zeug, das aus meinem abgetrennten Infusionsschlauch tropfte,
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