Geisterkrieg
wir bis dahin herausgefunden hatten, und uns zurück an den Anfang warf. Wir mussten wieder ganz von vorne beginnen, und das in dem ständigen Wissen, dass wir über den größten Teil der Republik und noch weit größere Bereiche der Inneren Sphäre jenseits unserer Grenzen völlig im Dunkeln tappten. Wenn ich so weit war, konnte ich irgendwann schwarz und weiß nicht mehr voneinander unterscheiden. Dann suchte ich mir für eine Weile eine Ablenkung. Ausflüge nach White Sands, um Geist auszuführen, waren äußerst verlockend. Es hat etwas Befreiendes, Dinge in die Luft zu jagen. Ich konnte mir vorstellen, die feindlichen Mechs seien Löwen, und wenn ich eines ihrer Rudel zerschlagen hatte, war ich erschöpft, aber glücklich. Meine Ergebnisse verbesserten sich dramatisch, als einer der Techs die Feindmaschinen in Sandgelb und Braun ausstaffierte, mit kleinen Löwenwappen auf dem Rumpf.
Einmal gelang es Janella und mir, uns für zwei Tage an die Baja-küste zurückzuziehen. Eigentlich hätten es drei Tage werden sollen, aber wir kehrten erholt und braun gebrannt zurück, um uns wieder auf die Arbeit zu stürzen. Ich verbrachte auch einen Nachmittag damit, Victor bei den Rosen im kleinen Innenhof seiner Unterkunft zu helfen. Das erwies sich als Glücksfall, denn Andrea bat um eine Gelegenheit, die Rosenstöcke zu sehen, und ich konnte sie auf einem kurzen Rundgang begleiten. Victor lobte höflich wie immer meine Hilfe bei der Arbeit an den Blumen, was Andrea verwirrte, ihr Misstrauen aber kaum verringerte.
Gegen Ende des Monats nahm der Druck, unter dem wir standen, kontinuierlich zu. Mit jedem Bericht wurden die dräuenden Wolken am Horizont düsterer und höher. Es ließ sich nicht mehr abstreiten, dass ein Sturm bevorstand, dessen Blitze mit brutaler Gewalt wüten würden.
»Das schicksalhafte Aufblitzen Seines schrecklich schnellen Schwertes.« Victors Stimme klang kalt. »Es gibt eine Theorie, dass die Menschheit dem Krieg nicht widerstehen kann, weil wir die Schmerzen zu schnell vergessen. Es ist eine Überlebenstaktik. Welche Frau, die stundenlange Wehen über sich hat ergehen lassen, wäre bereit, noch einmal ein Kind zur Welt zu bringen, könnte sie sich an jeden Moment der Schmerzen erinnern? Wer wäre bereit das Risiko einzugehen, niedergetrampelt oder von einem Büffel aufgespießt zu werden, wenn er das schon einmal überlebt hat?«
Ich wedelte mit bandagierten Fingern. »Welcher Gärtner würde Rosen züchten?«
Victor lächelte über meinen Witz, doch am anderen Ende des Tisches hob Nessa die Gabel. »Diese Theorie legt zu wenig Gewicht auf die Tatsache, dass wir vernunftbegabte Wesen sind. Wir können das Risiko von Schmerz und Verletzung gegen den möglichen Lohn abwägen. Wir sind auch in der Lage, mit anderen mitzufühlen und deren Schmerzen zu spüren. Das ist die Grundlage der Wohltätigkeit und heldenhafter Opfer in Notsituationen und Kriegen.«
Der alte Mann nickte. »Das lässt sich nicht bestreiten, Nessa, und zwei Faktoren in deiner Entgegnung unterstützen diese Theorie so-gar. Erstens messen wir den Schmerzen, weil wir sie vergessen, in dieser Kosten-Nutzen-Analyse niemals genügend Gewicht bei. Das gilt erst recht, wenn es sich um die Schmerzen anderer handelt. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass diejenigen, die Verletzungen anderer mitfühlen, Kosten-Nutzen-Rechnungen völlig ignorieren und sogar überwältigende Gegenargumente in den Wind schlagen, gerade weil sie glauben, dass dieses Verhalten notwendig ist.«
Nessa nickte und spießte mit der Gabel ein Salatblatt auf. »Darüber ließe sich diskutieren, aber letztlich müsste ich dir Recht geben. Was ist dein zweiter Einwand?«
»Ich bestreite deine Behauptung, dass wir wirklich vernunftbegabte Wesen sind.«
Ich sah überrascht auf. »Okay, dass ich keine Handschuhe getragen habe, als ich Ihnen an den Rosen geholfen habe, wird meine Argumentation für die menschliche Vernunft vermutlich nicht gerade stützen, aber wir alle hier in diesem Raum, an diesem Tisch, exerzieren unsere Vernunft gerade gewaltig.«
»Von deinen Händen abgesehen, Mason, zielst du an meinem Argument vorbei. Ja, wir hier denken über die jüngsten Ereignisse nach, und das gründlich und lange, aber wir können uns diesen Luxus leisten. Außerdem verfügen wir über die dazu erforderliche Erfahrung. Aber auch wenn wir persönlich auf Weisheit hoffen können, ist die Menschheit kaum in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Wenn wir
Weitere Kostenlose Bücher