Geisterlicht: Roman (German Edition)
murmelte eine Entschuldigung und packte die Ruder fester. Die unbeantwortete Frage schwebte zwischen ihnen wie eine dichte graue Wolke.
»Na ja«, erklärte er schließlich. »Wer weiß das schon? Man hat ja keinen Vergleich.«
»Ich glaube, man weiß es trotzdem. Man fühlt es. Hier.« Sie löste für eine Sekunde die linke Hand vom Bootsrand und presste sie flach auf ihr Herz. Ihre Ernsthaftigkeit verstärkte die leichte Übelkeit noch, die Aidan jetzt spürte. Wahrscheinlich hatte er einfach Hunger.
»Im vergangenen Jahr stand ich immerhin schon fast vor dem Traualtar. Das wäre sicher nicht passiert, wenn ich unfähig wäre, zu lieben.« Er konnte selbst hören, wie trotzig er klang.
Fiona lächelte ihn traurig an. »Und wieso bist du dann jetzt nicht verheiratet?«
»Ich habe es mir anders überlegt. Torschlusspanik. Vielleicht war sie auch einfach nicht die Richtige.« Er drehte sich um und schaute zur Insel hinüber, der sie sich viel zu langsam näherten. Er war durchaus bereit, Fiona von ihrer Angst abzulenken, aber dieses skurrile Gespräch war doch ein wenig zu viel verlangt.
»Vielleicht lag es auch einfach an dem Fluch«, gab sie nun zu bedenken.
Er warf den Kopf in den Nacken und stieß ein Lachen hervor, das selbst in seinen Ohren unecht klang.
»Das ist doch nicht dein Ernst, Fiona! Meine Eltern waren über dreißig Jahre verheiratet, als sie bei einem Autounfall ums Leben kamen!«
»Und? Waren sie glücklich miteinander? Haben sie sich geliebt?«
Aidan zog die Schultern hoch und ließ sie wieder sinken. Auf keinen Fall würde er Fiona erzählen, dass seine Eltern meistens einen ziemlich freudlosen Eindruck auf ihn gemacht hatten.
»Falls es wirklich so etwas wie Flüche gäbe… Wieso sollte Catriona dann gerade die Männer meiner Familie verflucht haben?«, wechselte er das Thema. »Und weshalb konnte sie das überhaupt? War sie wirklich eine Hexe? Bist am Ende du dann auch eine? Immerhin stammt ihr aus derselben Familie.« Aidan kam sich ein wenig schäbig vor, als er die Worte aussprach, aber eigentlich versuchte er nur, sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.
Tatsächlich schien seine Frage, ob sie eine Hexe sei, sie zumindest ein bisschen zu irritieren. Fiona wurde wieder sehr blass und riss ihre grünen Augen weit auf. Hexenaugen, wenn man den Sagen und Märchen glauben wollte. Allerdings waren ihre Haare nicht rot, sondern dunkelbraun. Die roten Haare hatte ihre Schwester Dawn, die aber wiederum braune Augen besaß.
»Was würdest du denn dazu sagen, wenn ich tatsächlich eine Hexe wäre?«, erkundigte Fiona sich nach einer langen Pause und wich seinem Blick aus.
»Ich würde dich fragen, warum du dich nicht einfach auf die Insel hinübergezaubert hast. Oder noch besser mit einem kleinen Spruch deine Angst vor Wasser wegzauberst.« Er zwinkerte ihr zu.
Sie erwiderte seinen Blick nur mit ernster Miene und blieb stumm, bis sie die Insel erreichten.
Endlich stieß der Bug des Boots gegen das flach auslaufende Ufer. Aidan sprang ins Gras und streckte Fiona seine Hand entgegen.
Sie stand vorsichtig auf, und als sie feststellte, dass das Boot nicht mehr schwankte, weil es fast bis zur Hälfte auf dem Land auflag, reichte sie ihm aufatmend die Hand. Ihre Finger, mit denen sie sich während der ganzen Überfahrt an den Bootsrand geklammert hatte, waren eiskalt, und das Lächeln, mit dem sie sich nun für seine Hilfe bedankte, erreichte ihre Augen nicht. Aidan nahm Fiona die Decke ab und griff nach dem Picknickkorb.
»Ich schlage vor, wir essen zuerst etwas, bevor wir uns auf die Suche nach den Kräutern machen. Soll ich dir das alte Sommerhäuschen zeigen? Da haben Reed und ich früher immer unsere mitgebrachten Sandwiches verputzt.«
Bis auf einen grasbewachsenen Uferstreifen war der Untergrund der Insel felsig, dennoch bildeten Bäume und Büsche einen lichten Wald, durch den Aidan Fiona nun im Zickzack führte. Unter den Bäumen wuchsen in schmalen Erdspalten niedrige Pflanzen und struppige Gräser. Es würde nicht leicht sein, die Kräuter mit den gefiederten Blättern zu finden, die im Zauberbuch beschrieben waren. Fiona hielt den Blick auf den Boden gesenkt, entdeckte jedoch kein Gewächs, das auch nur entfernt der Beschreibung glich. Der schmale Pfad war nicht breit genug, um nebeneinanderzugehen, und mehrmals fuhr sie herum, weil sie das Gefühl hatte, dass ihnen jemand folgte. Catriona? Ein oder zwei Mal glaubte Fiona, zwischen den Bäumen einen grauen, durchscheinenden
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