Geisterreigen
alles andere als glücklich zur Kirche hinüber. Sie glaubte an Gott, aber sie hatte noch nie viel davon gehalten, ihren Glauben öffentlich zur Schau zu stellen. "Ich bin froh, daß du auch am Gottesdienst teilnimmst, Timothy. Schade, daß du nicht mit mir in der Bank der Rowlands sitzen kannst."
"Ich bin schon lange nicht mehr in der Kirche gewesen", b ekannte Timothy Lansing. "Mein Vater wird seinen Augen kaum trauen können." Er nahm ihren Arm. "Stürzen wir uns in den Kampf."
Alberry gehörte zu den Orten, in denen die Kirchen am Son ntag bis zum letzten Platz belegt waren. Einige der Gottesdienstbesucher standen noch draußen und unterhielten sich. Als Diana und Timothy den Vorplatz betraten, unterbrachen sie ihr Gespräch und starrten die jungen Leute mehr oder weniger neugierig an.
Dr. Lansing grüßte freundlich. Er blieb mit Diana stehen und stellte seine Begleiterin vor, obwohl sie beide überzeugt waren, daß es kaum einen Menschen in Alberry gab, der nicht wußte, um wen es sich bei ihr handelte.
Als die Glocken zu läuten begannen, schlossen sie sich den übrigen Gottesdienstbesuchern an und betraten die Kirche. Hand in Hand gingen sie durch den Mittelgang. Kurz vor dem Altar trennten sich ihre Wege. Die junge Frau stieg die Stufen zur Bank der Rowlands hinauf, während ihr Freund auf der anderen Seite des Altars in der Bank Platz nahm, die den Angehörigen des Pfarrers vorbehalten blieb.
Reverend Lansing kam aus der Sakristei. Er stutzte, als er se inen Sohn und Diana sah, dann reckte er das Kinn und trat vor den Altar. Nach dem Eingangssegen erwähnte er, wie glücklich es ihn machen würde, wenn verirrte Schafe in den Schoß der Kirche zurückfanden.
Diana bemerkte, wie ihr Freund die Lippen zusammenpreßte. Sie ahnte, daß er am liebsten aufgestanden wäre und die Kirche wieder verlassen hätte. Sie war froh, daß er es nicht tat. Ang esichts all der Leute, die sie anstarrten, brauchte sie seinen Beistand.
Der Gottesdienst nahm seinen Fortgang. Reverend Lansing sprach über den verlorenen Sohn. Diana konnte sich nicht vo rstellen, daß es die Predigt war, die er ursprünglich an diesem Sonntag hatte halten wollen. Sie spürte, daß auch ihr Freund nicht daran glaubte.
Nach einem gemeinsam gesungenen Lied kam Reverend La nsing auf den Naturschutz zu sprechen. Er ging völlig in diesem Thema auf, schien geradezu besessen davon zu sein.
"Es wird noch immer viel zu wenig getan, aber wir haben die Aufgabe Gottes Werk zu schützen", sagte er. "Ein großherziger Mensch aus unserer Gemeinde wollte die Schuld seiner Familie tilgen, in dem er seinen Besitz einem hohen Ziel weihte. Aber seine Pläne wurden von Menschen zunichte gemacht, die Schul dgefühle nicht kennen."
Er wandte sich der Erbin von Rowland Castle zu und jeder in der Gemeinde wußte, von wem er sprach. "Wir müssen es akze ptieren", fuhr er fort, "aber wir können darum beten, daß das Gute siegen wird und das Böse vergehen." Er drehte sich wieder der Gemeinde zu und faltete die Hände. "Unser Vater im Himmel", begann er. "Sieh auf uns herab..."
Der Text des improvisierten Gebetes glitt an Dianas Ohren vorbei. Sie schwor sich, daß sie zum ersten und zum letzten Mal an einem Gottesdienst teilgenommen hatte, der unter der Leitung von Timothys Vater stand. Sie kam sich wie am Pranger vor. Wie konnte dieser selbstgerechte Mann es wagen...
Die junge Frau zuckte zusammen. Eine kleine Hand schob sich in ihre. Eine Hand, von der eine unendliche Kraft ausging. Eine Kraft, die sie nach und nach völlig erfüllte.
Neben ihr stand niemand, aber noch immer spürte sie diese kleine Hand. War Lucy bei ihr? War...
Nein, unmöglich. Lucy war tot, auch wenn sie hin und wieder glaubte, sie im Park und am Strand mit anderen Kindern tanzen zu sehen. Es war nur ihre Phantasie, die ihr so etwas vorgaukelte. Zudem, warum sollte Lucy ihr beistehen? Immerhin war sie eine Nachfahrin jenes Mannes, der sie und ihre Schwester ermordet hatte.
Der Gottesdienst schloß mit einem weiteren Lied. Reverend Lansing hob seine Arme zum Segen. Unter dem Klang der Glo cken ging er dann zum Portal, um die Kirchenbesucher zu verabschieden.
Dr. Lansing trat zu Diana. "Verschwinden wir durch die Hi ntertür", sagte er so leise, daß ihn außer der jungen Frau niemand verstehen konnte.
Diana blickte zu den March's. Das Butler-Ehepaar schien da rauf zu warten, daß sie alle gemeinsam die Kirche verließen. "Nein, ich bin nicht dafür, Timothy", widersprach sie. "Bieten
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