Geisterstadt
Sitznische gegenüber gefunden. Das Vinyl unter ihr war klebrig und aufgeplatzt, die Tischplatte mit Schmutz und Graffiti überzogen. Sie steckte sich eine Zigarette an und lümmelte sich gegen die Wand, während sie den Blick über die Menge schweifen ließ und hier und da jemanden entdeckte, den sie vom Sehen kannte.
Ja. Das war eine gute Idee. Keiner von Baldarels Leuten würde es schaffen, hier reinzukommen, und selbst wenn doch - tja, Scheiße! Wenn doch, würden sie wahrscheinlich ihre Hunde mitbringen, und alle Gäste würden sterben. Bei dem Gedanken fühlte sie sich, als hätte sie einen Felsbrocken verschluckt.
Nein. Nein, das war ganz und gar keine gute Idee. Ganz egal, wie wohl sie sich hier fühlte, sie sollte eigentlich nicht hier sein. Ihre Anwesenheit brachte alle anderen in Gefahr.
Es sei denn ... warum waren die Hunde verschwunden, als sie die Straße erreicht hatten? Psychopomps taten das nicht. Sie verschwanden nicht einfach; man beschwor sie, sie schnappten sich die Seele, auf die sie angesetzt waren, und dann brachten sie diese Seele zurück in die Stadt der Toten. Kein Bannspruch nötig, nichts.
Und niemand beschwor einen Psychopomp nur zum Spaß, das gab es einfach nicht. Mit Psychopomps spielte man nicht. Sie holten nicht Stöckehen und schüttelten keine Hände. Selbst in der Ausbildung hatte niemand einen Psychopomp beschworen, ohne dass es einen Geist zum Austreiben gab. Die unterrichtenden Ältesten hatten zu Übungszwecken immer ein paar Geister dabei, die sie in einem besonderen Raum losließen, in dem es nichts gab, was man als Waffe einsetzen konnte.
Es war zwar möglich, einen Psychopomp auch ohne die Anwesenheit eines Geistes zu beschwören, und es gab Aufzeichnungen über seltene Fälle, in denen Psychopomps als Mordwaffen eingesetzt worden waren, aber das passierte so gut wie nie, und die Chancen, damit durchzukommen waren gleich null. Ein Mensch, dem man bei lebendigem Leib die Seele herausgerissen hatte, zeigte immer bestimmte Merkmale, die kaum zu übersehen waren. Einmal erkannt, konnte man das Energiemuster des Beschwörers verfolgen und dem Mörder so auf die Schliche kommen.
Wie auch immer, sie hatte noch nie von einem Psychopomp gehört, der einfach so verschwand, ohne sich eine Seele zu greifen. Nie.
Was zur Hölle also hatte Baldarel gewollt? Wie hatten sie es angestellt? Sie hatte kein einziges Machtwort gehört, keine Kräuter gerochen und auch nicht den Hauch eines zusätzlichen Energieschubs gespürt, wie ihn solche Magie eigentlich hätte auslösen müssen. Natürlich musste das nicht viel bedeuten, immerhin war sie verängstigt, panisch und von der im Tunnel geballten Macht völlig überwältigt gewesen, vom Speed ganz zu schweigen.
Trotzdem war damit aber eine Frage geklärt. Sie wusste jetzt, warum sie sich unter der Erde aufhielten. Dort waren Geister stärker. Hätte sie Zauber wirken wollen, die mit Geisterkraft verstärkt waren, hätte sie sich wahrscheinlich auch dorthin zurückgezogen. Für Baldarel war das genau der richtige Unterschlupf.
Sie drückte die Zigarette aus und kippte das Bier hinunter. Eine Weile beschäftigte sie sich mit dem Flyer für eine Show der Poor Dead Bastards. Bei dem Gedanken daran, dass sie bleiben würde, war ihr immer noch unbehaglich; sie war nicht gerade scharf drauf, den Auslöser für einen Massenmord von Psychopomps zu spielen. Aber um sie herum war alles so lebendig. Die erhitzten Körper, die sich in dem winzigen, lärmigen Raum drängten, das Bier, der Schweiß und der Zigarettenrauch, die grinsenden Gesichter, die belämmerten Grimassen der Berauschten, selbst die ein, zwei Leute, die schon etwas grün um die Nase waren und sich sicher bald in der Gasse hinter der Bar übergeben würden - all das gab ihr das Gefühl, an etwas teilzuhaben, beinahe genauso sehr, wie ihr die Arbeit für die Kirche das Gefühl gab, Teil von etwas Größerem zu sein.
Also, ja, sie würde doch noch ein Weilchen bleiben. Mal in Ruhe über alles nachdenken. Versuchen ...
Terrible kam herein.
Ihr Magen machte einen Satz. Sollte sie ... was sollte sie denn jetzt machen? Gehen? Gehen war vermutlich das Vernünftigste, klar, aber auf dem Weg nach draußen kam sie direkt an der Sitznische vorbei, aus der er gerade mit einem Kopfnicken alle vertrieben und sie selbst in Beschlag genommen hatte.
Mit seiner ... Verabredung. Schätzte sie jedenfalls.
Die einzige seiner Freundinnen, die sie jemals kennengelernt hatte, war Amy gewesen, ein
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