Geisterstadt
Lex gleichzuziehen. Sie konnte nicht zurückblicken, wollte nicht zurückblicken, ertrug es nicht, die zum Beißen geöffneten Mäuler zu sehen.
Lex riss sie mit, riss ihr den Arm hoch. Sie stolperte über die Stufen und schürfte sich die rechte Hand am rauen Zement auf. Die Hunde waren direkt hinter ihnen, so laut, dass sie den eigenen Aufschrei nicht hörte.
Er packte sie, zog sie an sich und stieß sie beide noch in derselben Bewegung nach draußen auf die Straße. Frische Luft schlug ihr entgegen. Das Mondlicht blendete sie. Sie musste in Bewegung bleiben, sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befanden oder wohin sie fliehen sollten, aber sie mussten diesen wütenden Fängen entkommen, den geifernden Mäulern, die sich jederzeit unbarmherzig um ihre Beine schließen konnten ...
Lex stieß sie zur Seite. Dort wartete, abseits des Gehwegs, versteckt neben dem Zugang zu den Tunneln eine Treppe. Sie stürmte mit schweren, schmerzenden Beinen hinauf. Lex’ Hand lag auf ihrem Rücken. Die Hunde heulten vor Wut... Moment. Was?
Da waren keine Hunde mehr.
Sie hörte nur noch heftiges Keuchen, ihr eigenes und das von Lex, als sie sich über das zerfetzte Holzgeländer beugten und nach unten spähten.
Der Tunneleingang unter ihnen fiel krachend ins Schloss. Chess beugte sich noch ein Stück weiter vor und versuchte etwas zu erkennen - eigentlich wusste sie gar nicht, was sie zu sehen erwartete, aber sie hatte trotzdem das Bedürfnis nachzuschauen -, doch die Tür war fest verschlossen.
Ein paar Sekunden später flog sie noch einmal auf. Vanhelms Leiche kam herausgeflogen und landete mit einem grauenhaften feuchten Schmatzen auf dem Gehweg.
Die Tür wurde erneut geschlossen. Diesmal blieb sie zu.
Im Chack’s war es normalerweise nicht so voll wie heute, aber die Runouts spielten, und so strömte das Lumpenproletariat von Downside in Scharen herbei - und in der Gegend um die Ecke Fünfundfünfzigste und Ace bedeutete das beinahe eine Vollversammlung.
An jedem anderen Abend hätte Chess sich draußen herumgetrieben, um zu sehen, ob sich vielleicht ein bekanntes Gesicht zeigte, mit dem man eine Zigarette und ein kurzes Schwätzchen teilen konnte. Heute traute sie sich das nicht. Sie war aufgedreht wie ein Brummkreisel und vor Angst völlig außer sich - und da kam ihr eine nette, laute Bar wie der ideale Ort vor, um die nächsten paar Stunden rumzukriegen.
Oder auch den größten Teil der Nacht. Das Chuck’s hatte bis fünf Uhr morgens geöffnet, und sie hatte sich fest vorgenommen zu bleiben, bis die Stühle hochgestellt wurden. Hoffentlich war sie dann so besoffen, dass sie keine Angst mehr hatte. Jetzt alleine zu Hause rumzuhängen, bei jedem huschenden Schatten in die Luft zu gehen und auf den Türknauf zu starren, immer in der Erwartung, dass er sich gleich drehen würde, ging ihr vollkommen gegen den Strich. Sie hatte außerdem mehr als genug Speed, um die Widmungszeremonie am Morgen und den folgenden Arbeitstag zu überstehen.
Dass man »in der Gruppe sicherer war«, war so ein Gemeinplatz, von dem sie aus Erfahrung wusste, dass er totaler Bullshit war. Trotzdem fühlte sie sich besser, als sie sich am Türsteher vorbei in die drückend heiße, verschwitzte Bar drängte. Mit Eintrittzahlen hielt sie sich wie immer nicht auf. Niemand verlangte von Bumps Kirchenhexe Eintritt, es sei denn, er war auf Ärger aus. Chess selbst neigte zwar nicht zur Gewalt, aber das wusste hier ja keiner, und sie hatte keine Skrupel, ihren Job - wenn man das so nennen konnte - zu benutzen, um gratis reinzukommen. Außerdem ließ sie genug Geld an der Bar, um das mehr als wettzumachen.
Die Menge wogte unter den mit roten Abdeckungen versehenen blauen Lampen hin und her; ein kleiner Kontinent für sich, der beständig von Erdbeben erschüttert zu werden schien. Chess drängelte sich an Mädchen in Miniröcken und Fishnet-Strumpf- hosen und Typen mit hochgegeltem Stachelhaar vorbei, bis sie sich zur Bar durchgekämpft hatte. Silber blitzte ihr von Wangen, Augenbrauen und Lippen entgegen; Silberketten, die Ohren mit Nasen verbanden und sich um schmale Hälse schlossen. All das war ihr vertraut, vielleicht nicht gerade die einzelnen Personen, aber die Menge als Ganzes. Die Lazij Coiogirls dröhnten aus den Lautsprechern, und zum ersten Mal seit Tagen entspannte sie sich innerlich und wippte mit dem Fuß.
Ein erhobener Finger, und schon brachte ihr der Barkeeper ein Bier. Eine kurze Suche, und schon hatte sie einen Platz in der
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