Geisterstadt
bescheuertes Gefühl. Und noch dazu in diesem Fall entschieden verfrüht. Es gab nicht den geringsten Grund ...
Das Knurren ließ sie erstarren. Wo war das ... Sicher war das bloß ein Hund. Nur irgendein Streuner. Bei wilden Kötern war immer Vorsicht geboten, aber Sorgen musste man sich da nicht machen. Nicht wirklich.
Sie machte noch einen Schritt vorwärts. Das Knurren wurde lauter. Etwas bewegte sich hinter ihr. Dann ertönte ein Krachen, als würde eine Holzkiste Umstürzen.
Das Blut gefror ihr in den Adern.
Okay. Okay, kein Grund zur Panik. Das konnte alles Mögliche sein. Jeder. Das musste nicht unbedingt ein Psychopomp sein, der sie verfolgte. Oder? Psychopomps knurrten normalerweise auch nicht. Das war bloß ein Hund.
Aber auch ein Hund war schon schlimm genug. Und wenn dann noch eine so verdrehte, schlüpfrige Energie dazukam, die vor Blut und Schleim förmlich triefte und sich jetzt gerade in ihr breitmachte, ihr über die Haut kroch und als wallender schwarzer Nebel in Haar und Mund drang, der nach Abwasser und Tod roch, dann war es ganz besonders schlimm.
Schon als sie losrannte, wusste sie, dass sie es wahrscheinlich nicht schaffen würde. Der Zaun zu ihrer Linken war zu hoch, und die Mündung der Gasse zu weit weg; sie waren hinter ihr her, sie hörte, wie sie durch den Müll rasten.
Sie wollte schreien, aber sie musste sich den Atem sparen. Außerdem nützte es vielleicht gar nichts - wer würde hier schon einem Schrei auf den Grund gehen? Niemand. Vielleicht in einem anderen Stadtteil, aber hier ganz sicher nicht.
Ihre Füße rutschten auf schleimigem Müll aus, und sie stolperte, fiel beinahe. Die Energie verdichtete sich um sie herum und raubte ihr die Kraft. Übelkeit stieg in ihr auf, das Ende der Gasse schien nicht näher kommen zu wollen, und sie konnte einfach nicht mehr rennen, gleich würde sie sich übergeben müssen ...
Ein weiteres Knurren hallte hinter ihr durch die schmale, enge Gasse, tiefer diesmal, und lauter. Sie gab noch einmal alles, aber es war, als würde sie durch tückischen Schlamm laufen, der ihr die Füße festhielt.
Sie würde es nicht schaffen.
Terrible musste bald auf die Straße hinauskommen — was würde er denken, wenn sie nicht da war? Traute er ihr bereits wieder so weit über den Weg, dass er davon ausgehen würde, dass ihr etwas zugestoßen war? Oder würde er einfach annehmen, dass sie ihn versetzt hatte?
Sie sollte etwas fallen lassen. Eine Spur hinterlassen. Damit er wusste, dass sie ihn nicht hatte sitzen lassen, dass sie ihn nicht schon wieder hinters Licht geführt hatte.
Die Straße breitete sich lockend vor ihr aus, sie hatte es fast geschafft. Hinter ihr ein Grollen, ein Hecheln ...
Sie stürzte genau in dem Moment um die Kurve, als Terribles Verabredung ihm eine Ohrfeige versetzte.
Normalerweise hätte sie sich diskret zurückgezogen, aber in diese Seitengasse bekamen sie keine zehn Pferde noch mal, nicht mal die Gefahr, von einer ausgeflippten Frau verprügelt zu werden, die anscheinend gerade erfahren hatte, was ihr Kavalier auf dem Klo mit einer anderen getrieben hatte. Mit ihr.
Ausnahmsweise war ihr das Glück diesmal hold. Sela drehte sich nicht um. Aber sie tat stattdessen etwas viel Schlimmeres: Sie stöckelte auf ihren Zehn-Zentimeter-Absätzen zu der Straßenlaterne, unter der Terrible seine Chevelle geparkt hatte, und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. »Du bringst mich jetzt gefälligst nach Hause«, schrie sie. »Glaub ja nicht, dass ich zu Fuß gehe.«
Terrible warf Chess einen Blick zu. »Ich kann die doch nicht einfach hier allein lassen ...«
»Wenn ich mich da anschließen dürfte? Ich meine, hier kann ich nicht bleiben.« Rasch erzählte sie ihm, was sich in der Gasse zugetragen hatte. »Er ist hier, und wahrscheinlich beobachtet er mich. Wenn ich nicht verschwinde ...«
»Scheiße!« Er sah zwischen Sela und Chess hin und her. »’ne Spazierfahrt wird das aber nicht gerade, hm? Die ist stocksauer. Kann man ja irgendwie auch verstehen, nach allem, was ein gewisser Typ heute Abend abgezogen hat...«
»Egal. Immer noch besser, als hierzubleiben und darauf zu warten, dass sie mich angreifen.«
»Sei dir da mal nicht so sicher«, murmelte er, bedeutete ihr aber trotzdem mit einem Kopfnicken, ihm zum Auto zu folgen.
«... ist mir scheißegal, für wen du dich hältst, du Pissnelke«, ereiferte sich Sela und durchbohrte Chess vom Beifahrersitz aus mit Blicken, »wenn du ihn willst, kannst du ihn haben.
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