Geisterstadt
ersten Mal war Chess dankbar dafür, dass die Kabine für eine solche Menschenmenge gemacht war, wie sie jetzt anlässlich des Rituals zusammenkam; es war ein bisschen eng, und sie machte sich Sorgen wegen des Gewichts, aber sie passten alle rein. Schweigen. Niemand sprach. Ihre Hände waren eiskalt. Sie ballte sie zu Fäusten, ließ die Finger spielen und schüttelte sie, so wie sie es immer tat, wenn sie sich eine Riesendosis Speed reingepfiffen hatte. Sie konnte einfach nicht Stillstehen. Konnte nicht aufhören, sich das Blutbad auszumalen, das sie vielleicht erwartete; kam nicht los von den Visionen einer ausgestorbenen Stadt und einer ausgestorbenen Welt, die sich vorhin in ihr Hirn eingebrannt hatten.
Und unter alldem lauerte die altvertraute Angst: Die vor der Stadt selbst, vor der Stille und den geisterhaften Schemen und dem Dreck und den Gespenstern mit dem leeren Blick, die an ihr vorüberglitten. All das erinnerte sie unbarmherzig daran, dass dies alles war, was sie nach dem Ende erwartete: diese Trostlosigkeit, die alle anderen anscheinend so friedvoll und beruhigend fanden, während sie bei diesen Bildern immer noch ein paarmal pro Jahr schweißgebadet aufwachte.
Mit einem kleinen Ruck kamen sie am Boden des Fahrstuhlschachts zum Stehen. Die Türen glitten auf.
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Selbstverständlich hatte ich Angst, als ich in den Fahrstuhl stieg, und sie wurde noch viel größer, als er anhielt und mein Liaiser mich in den Vorraum führte, wo ich den Geist meines Urgroßvaters traf. Aber es gab letztendlich gar keinen Grund, sich zu fürchten, und mit seiner Hilfe gelang es mir, meinen Familienstammbaum noch vier weitere Generationen zurückzuverfolgen!
Mein Besuch bei den Toten von Etherida Pilcher, erschienen im Magazin Du! im März 2000
Dichte, machtvolle Energie wirbelte durch die Fahrstuhlkabine, hüllte Chess ein, durchdrang sie und ließ sie mit einem Druck auf der Brust zurück. Sie hatten bereits mit der Zeremonie begonnen, da gab es gar keinen Zweifel, und datier flog sie praktisch aus der Kabine. Sie mussten sich beeilen, in den Zug springen und dann los. Zum Glück mussten sie nicht erst lange warten; er kehrte automatisch nach jeder Fahrt zum Ausgangspunkt zurück. Es war zu gefährlich, ihn in der Nähe der Ewigen Stadt stehen zu lassen; die Schrauben ließen sich entfernen und konnten, ebenso wie andere Teile, als Waffen verwendet werden. Es durften überhaupt keine Gegenstände von außen in die Stadt gebracht werden.
Sie betätigte den Schalter, der die Zugtüren öffnete, und winkte die Männer hinein, während ihr das Herz mit dreifacher
Geschwindigkeit klopfte. Daran war das Speed schuld, und ihre Angst vor der Stadt, eine Abneigung, die schon an Hass grenzte. Und über allem lag die lähmende Furcht davor, was sie bei der Ankunft erwartete.
Die Männer setzten sich. Chess nicht. Stattdessen zwang sie sich, die kleine Kabine am Kopf des Zuges zu betreten und den Knopf zu drücken, der das Gefährt zum Leben erweckte. Mattblaue Lichter glommen über ihr, spiegelten sich in den Plexiglasfenstern, schimmerten schwach auf den Eisenwänden und den Beschlägen. Es war, als säße man in einem Eisberg; die Heizlüfter, die über ihnen surrten, würden in ein paar Sekunden warme Luft verstrudeln, aber im Moment war es im Waggon noch kalt und tot und vollkommen still, bis auf das dumpfe Mahlen des ersten Portals, das sich öffnete und ihnen Einlass in den Tunnel gewährte.
Chess lehnte sich gegen die Eisenstange in der Mitte. Sie konnte jetzt nicht sitzen. Sie ertrug es nicht, ihnen ins Gesicht zu sehen, während der Boden unter ihnen bebte und der Zug sie ins Dunkel trug. Für wie viele der Männer, die jetzt so nahe bei ihr saßen, dass sie nur die Hand ausstrecken musste, um sie zu berühren, waren dies die letzten Sekunden ihres Lebens?
Ihr ganzer Körper vibrierte so heftig, dass sie das Gefühl hatte, er würde zerspringen, wenn sie sich nicht darauf konzentrierte, ihn zusammenzuhalten. Die Ausrüstungstasche zerrte an ihr. Chess stank immer noch. Und vermutlich würde sie jetzt eines schmerzhaften Todes sterben, genau wie alle anderen auch.
Das war alles ihre Schuld. Wenn sie schon früher richtig geschaltet hätte, wäre vielleicht nichts von alledem passiert. Wenn sie besser auf ihr Misstrauen gegenüber Lauren geachtet und auf die innere Stimme gehört hätte, die ihr sagte, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Wenn sie sich mal eine Sekunde hingesetzt und über die Indizien nachgedacht
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