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Geisterstadt

Geisterstadt

Titel: Geisterstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stacia Kane
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ab.
    Sie versuchte zu lesen. Die Wörter verschwammen vor ihren Augen. Versuchte fernzusehen. Die Leute wuselten herum und sagten und taten grenzdebile Sachen — na ja, das lag nicht nur an ihrem Nervenflattem, so war das Fernsehen einfach bis sie irgendwann am liebsten ihre Messer in den Bildschirm geschleudert hätte. Sie hatte die Kiste ausgeschaltet, aber dann hatte sie die Stille aus dem Sessel gescheucht. Keine ihrer CDs klang richtig, nichts lieferte den passenden Soundtrack. Irgendwann legte sie einfach Radio Birdman auf, nur um die Wohnung mit irgendeinem Geräusch zu füllen. Einfach, damit sie mit ihrem Elend nicht alleine war.
    Wo blieb er denn? Es war schon nach drei. Er hatte sie doch nicht etwa ... einfach vergessen? Hasste er sie denn so sehr, dass es ihm komplett egal war, was sie dort gewollt hatte?
    Vielleicht musste er das auch gar nicht herausfinden. Vielleicht würde er sie einfach gleich umbringen. Sie starrte auf das Bleiglasfenster, das eine komplette Wand ihrer Wohnung einnahm. Das Gebäude, in dem sie lebte, war einmal eine katholische Kirche gewesen, damals, vor der Geisterwoche und dem Triumphzug der Kirche der Wahrheit. Die meisten Kirchen waren in dieser Woche geschleift worden, als die Toten auf Erden wandelten und Milhonen Seelen mit sich in den Abgrund gerissen hatten, und auch noch in der Zeit danach. Aber die Kirche hatte ihrem Gebäude eine besondere historische Bedeutung zuerkannt und es außerdem für künstlerisch wertvoll erklärt, also war es erhalten geblieben.
    Auf der anderen Straßenseite standen ebenfalls Häuser. Aus den Fenstern konnte man geradewegs zu ihr hereinsehen. Hockte er dort drüben mit einem Gewehr? Und wartete nur darauf, sie zu ...
    Von der Straße drang das tiefe Rumpeln eines Autos zu ihr hinauf. Eines ganz bestimmten Autos. Ihr Herz stockte; sie rannte zum Fenster und warf gerade noch rechtzeitig einen Blick hinaus, um zu erkennen, wie Terrible die Treppe heraufstieg.
    Sie richtete sich ein letztes Mal die schwarze Bettie-Page- Frisur und korrigierte ein letztes Mal die Schminke auf den rissigen Lippen. Am Rest konnte sie jetzt auch nichts mehr ändern. Sie war blass und zitterte, während ihr ganzer Körper vor Anspannung bebte.
    Als er die schweren Knöchel gegen die Tür schlug, stand sie schon bereit. Ihre Hand flog an den Türknauf, doch sie hielt sich zurück, bevor sie öffnete. Es war schon schlimm genug, dass sie sich bei ihrer letzten Begegnung zu einer kompletten Idiotin gemacht hatte. Er musste nicht erfahren, dass sie schon die ganze Zeit an der Tür gewartet und ihm entgegengefiebert hatte.
    Das Make-up war ein Fehler gewesen. Genau wie das Top und die hochhackigen Stiefel. Alles war furchtbar falsch. Was glaubte sie denn, was das hier werden sollte, ein verdammtes Date etwa? Vielleicht konnte sie ja einfach auf die Knie fallen und heulen, wenn sie die Tür aufmachte, damit das erbärmliche Bild auch wirklich komplett war.
    Es klopfte noch einmal laut. Okay. Zeit, einmal tief Luft zu holen. Sie drehte den Türknauf, trat zurück und zog.
    Niemand konnte einen Türrahmen so ausfüllen wie Terrible.
    Ihr Mund öffnete sich. Was sollte sie denn jetzt bloß sagen? Hi? Wie geht’s? Komm mit ins Bett? Ja, genau, als ob das funktionieren würde. Mist! Was hatte sie sich nur gedacht ...
    Ihre Blicke trafen sich. Eine Sekunde lang sali sie etwas in seinen Augen. Etwas wie früher, einen Geist dessen, was einmal gewesen war.
    Dann war es verschwunden. Er ruckte den Kopf in einer knappen »Los, komm!«-Geste zur Seite, drehte sich um und ging den Hausflur hinunter. Erbrauchte auch gar nichts zu sagen; sie wussten beide, warum er hier war und wohin er sie bringen würde.
    Ihr Herz rutschte ihr durch die Hose bis in die Schuhe. Es war genau, was sie eiwartet hatte. Nichts anderes hatte sie verdient. Aber es tat trotzdem weh; alte Wunden in ihrem Inneren, die sie längst verheilt geglaubt hatte, brachen wieder auf und spuckten tintenschwarze Traurigkeit in ihre Adern.
    Sie rang trotz des Würgens in ihrer Kehle nach Luft und folgte ihm. Im Vorübergehen schloss sie rasch ab und richtete die Schutzzeichen an der Wohnungstür. Ihre Arme fühlten sich merkwürdig an, und die Hände kamen ihr viel zu groß vor; sie schob sie in die Taschen, zog sie wieder raus, verschränkte die Arme und ließ sie baumeln, während sie versuchte, mit seinen großen Schritten mitzuhalten. Die Treppe hinunter, durch die weitläufige Eingangshalle und die gewaltigen

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