Geisterstadt
nicht auf, aber Chess bemerkte es sofort. Der Kleiderschrank roch nach Kräutern - der Kräutermischung, die sie zuvor in dem schrecklichen Fetisch gefunden hatte.
Zum vierten oder fünften Mal überlegte sie, wie sie Lauren erzählen konnte, was passiert war, und zum vierten oder fünften Mal verwarf sie den Gedanken sofort wieder. Es gab keinen Weg, insbesondere nicht nach der Wir-machen-es-so-wie-ich-es-sage-und-damit-basta-also-Klappe-zu-Diskussion, die sie gerade draußen geführt hatten. Diskussion war natürlich nicht ganz das richtige Wort, aber das änderte nichts an den Tatsachen. Lauren wusste nicht, wer Ratchet oder die anderen Toten waren oder dass es sie überhaupt gab, und Chess hatte keine glaubwürdige Erklärung dafür, dass sie Lauren nicht sofort eingeweiht hatte. Außerdem wusste Lauren bereits, dass die Lamaru unterwegs waren und irgendetwas im Schilde führten.
Der einzige neue Hinweis, den Chess ihr guten Gewissens geben konnte, war der Fetisch, und da fiel ihr doch sicher ein besserer Weg ein, um ihr den zuzuspielen. Eigentlich ging es ihr komplett gegen den Strich und kratzte am letzten Rest Integrität, den sie sich noch bewahrt hatte, aber für einen kurzen Moment wünschte sie, sie hätte das Ding nicht so sorgfältig eingetütet und gesalzen. Vanhehns Apartment wäre der perfekte Ort gewesen, um Lauren darauf stoßen zu lassen. Im Grunde würde sie nicht mal Beweise fingieren; es ging ja um ein echtes Beweisstück, bei dem sie nur am Fundort und an den Umständen ein bisschen was drehte.
Aber nein, das brachte sie nicht fertig. Sie musste einen anderen Weg finden. Also sah sie wieder zur Lauren hinüber, die jetzt in das kleine Badezimmer ging, und machte sich dann daran, die Taschen der aufgehängten Klamotten zu durchwühlen.
Sie war beim letzten Hemd angekommen, als sich ihre Finger um etwas Kleines, Festes schlossen. Ein quadratisches Stück stabiles Papier von etwa sieben Zentimetern Seitenlänge. Die Kanten kratzten am Stoff, als sie es aus der Tasche herauszog.
Oh Scheiße! Das Zimmer verdunkelte sich um sie. Einen Moment lang glaubte sie zu fallen und in einen schwarzen Tunnel zu stürzen, der so tief war, dass sie nie am Boden aufschlagen würde.
Dann rückte sich die Welt wieder zurecht. War das jetzt wirklich so überraschend? Ihr war doch klar gewesen, dass die Lamaru wussten, wer sie war, und dass sie hinter ihr her waren.
Aber der abergläubische Schauer, der ihr über den Rücken lief, hörte nicht auf, bis sie das Bild in der eigenen Tasche verstaut hatte. Es war ein Bild von ihr - die offizielle Aufnahme für die Mitarbeiterkartei der Kirche, die jährlich erneuert wurde und - angeblich - in einer streng vertraulichen Personalakte aufbewahrt wurde.
Erik Vanhelm hatte sie über dem Herzen getragen.
12
Selbstverständlich ist kein Heim vollständig ohne eine Ausgabe des Buchs der Wahrheit, und die Kirche bietet es farblich abgestimmt auf einfach jede Einrichtung an. Trautes Heim, Segen allein von Delilah Ross
Randy Duncan konnte ihm das Bild vor seinem Tod gegeben haben. Chess hatte sich ihre Personalakte noch nie angesehen; vermutlich konnte sie den Ältesten Griffin danach fragen - wenn sie riskieren wollte, dass er Panik bekam und sie von dem Fall abzog. Ach verdammt, sie konnte genauso gut Lauren fragen. Das Black Squad konnte sich einfach zu jedem Scheiß Zugang verschaffen, wenn es sein musste.
Wenn Lauren nur nicht so verdammt unsympathisch gewesen wäre. Das war eigentlich nicht weiter überraschend; die meisten Angehörigen des Squad, mit denen Chess bisher gearbeitet hatte, waren unglaubliche Korinthenkacker und Erbsenzähler, die es mit den Vorschriften haargenau nahmen. Aber bei Lauren kam noch unsägliche Arroganz dazu, die auf ihre Herkunft und die Stellung ihres Vaters zurückzuführen war, und das machte sie mehr als nur nervig. Kurz gesagt: Chess traute ihr nicht über den Weg. Konnte es nicht übers Herz bringen, ihr zu vertrauen. Sie waren grundsätzlich verschieden, natürliche Gegnerinnen. Reich gegen arm eben.
Aber eigentlich spielte das auch keine Rolle mehr. Die Lamaru
wussten eh schon, wer sie war. Und zwar seit Monaten. Klar, ohne Terrible im Rücken ... das war einfach zu blöd. Komisch, dass ihr früher nie aufgefallen war, wie sehr sie sich auf seinen Schutz verlassen hatte, bis es zu spät war. Wie sehr sie sich auf ihn verlassen hatte, bis es zu spät war.
Aber das alles hatte sie in letzter Zeit bis zum Überdmss durchgekaut,
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