Geisterstadt
gut, Fernsehen kam wahrscheinlich nicht infrage, es sei denn, er wollte die Nachbarn mit dem verräterischen Flackern auf sich aufmerksam machen, aber wer konnte sich bei den Lamaru schon sicher sein?
Oder sie versteckte sich im Obergeschoss und spekulierte darauf, dass Vanhelm das große Schlafzimmer in Beschlag nahm. Wenn er eingeschlafen war, konnte sie sich rausschleichen. Sie hatte ihre Ruhmeshand dabei.
Sie musste eine Entscheidung treffen, und zwar auf der Stelle. Nach oben oder nach unten? Oben oder unten? Mist!
Nach oben. Wahrscheinlich genau die falsche Entscheidung, aber immerhin war es eine Entscheidung. Lieber dort festsitzen, bis Vanhelm schlief, und dann die Flucht wagen, als jetzt ins Wohnzimmer zu schleichen und von den beiden ertappt zu werden.
Das kleine Schlafzimmer war das bessere Versteck. Die Kleiderkammer bot wenigstens ein bisschen Platz. Oder ...
Das war nicht einfach nur ein begehbarer Kleiderschrank. Es gab ein Fensterchen, vor dem vergilbte Gardinen baumelten. Das Haus des Henkers war kein Neubau, und hatte demzufolge nicht die hohen Decken und auch insgesamt nicht die Höhe modernerer Gebäude. Zudem saß das Fenster niedrig in der Wand — sie schätzte, dass es vom Sims bis zum Erdboden nicht viel mehr als drei Meter sein konnten. Da war sie schon aus größerer Höhe gesprungen.
Aus der Küche unten kam kein Laut. Entweder knutschten sie immer noch, oder sie waren dazu übergegangen, sich ganz geräuschlos auszuziehen. Wow! Wie aufregend.
Auf alle Fälle würden sie es wahrscheinlich gar nicht mitkriegen, wenn sie das Fenster hochschob und sich zu Boden fallen ließ. Vorausgesetzt, das Fenster ließ sich überhaupt öffnen und quietschte nicht beim Anheben.
Natürlich ging es nicht auf. Sie zerrte so lang, wie sie es wagte, bis sich unten Stimmen zum Abschied erhoben, und die Hintertür geöffnet wurde. Dann gab es also keinen Fluchtweg mehr. Jedenfalls nicht für eine ganze Weile, wenn sie überhaupt noch eine Chance hatte. Sie zog sich in die Kleiderkammer zurück und lauschte auf Vanhelms schwere Schritte auf der Treppe.
Die Beine schmerzten ihr von der geduckten Haltung, als sie eine Stunde später an ihrem Auto anlangte. Nach etwa einer halben Stunde war Vanhelm endlich in den Schlaf der Ungerechten gefallen, und dann hatte sie noch mal eine halbe Stunde abgewartet, nur um ganz sicherzugehen. Es war nach Mitternacht, und alles war noch verwirrender als zuvor.
Maguinness und Lupita hatten sich gekannt. Maguinness und die Lamaru waren in die gleiche Sache verwickelt, eine Art Krieg. Aber ganz offensichtlich machte Maguinness sie jetzt nervös. Sie hatte noch nie von jemandem gehört, der die Lamaru nervös machte, also hatte sich ihr erster Eindruck von seiner Macht wohl als richtig erwiesen.
Aber warum hielt er mit dieser Macht hinter dem Berg? Insbesondere in seinem Metier. Mit ein paar geschickt eingesetzten Zaubern hätte er die Bewohner von Downside leicht zwingen können, ihre Taschen zu leeren - was hatte ihn davon abgehalten?
Der Gedanke, dass er einfach eine ehrliche Haut war, kam ihr nicht eine Sekunde. Ehrlichkeit war denjenigen Vorbehalten, die sie sich leisten konnten, genau wie eine Heizung, Strom oder ein Gewissen. Wer in Downside ehrlich war, machte sich nur zum Opfer.
Wenigstens hielt sie das, was sie belauscht hatte, auf Trab und gab ihr eine neue Anlaufstelle, obwohl man sie dort nicht gerade mit offenen Armen willkommen heißen würde. Sie drehte eine Runde um das Trickster’s und zog dann weiter ins Chuck’s, um nach der Chevelle Ausschau zu halten. Wenn sie ihn dort nicht fand, musste sie es auf dem Markt oder bei ihm zu Hause probieren. Anrufen hatte keinen Zweck. Sie wusste genau, dass er nicht rangehen würde, wenn er ihre Nummer sah. Selbst wenn sie jetzt auf Bumps Geheiß zusammenarbeiteten, änderte das gar nichts, und sie wollte ihn auch nicht vorwarnen, dass sie nach ihm suchte.
Die Chevelle stand auf ihrem Stammplatz gegenüber vom Chuck’s. Sie parkte einen Block die Straße runter und steuerte auf die Bar zu. Die kühle Nachtluft ließ sie erschaudern. Oder wenigstens redete sie sich ein, dass sie deswegen eine Gänsehaut hatte.
Stickige, warme Luft strömte ihr entgegen, als sie den schmuddeligen Eingang passierte - warme Luft und Richard Hells »Blank Generation«. Es dauerte einen Moment, bis sich ihre müden Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, dann entdeckte sie ihn im hinteren Teil des Raums und sah gerade noch,
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