Geisterstadt
liebsten eine Panda angeboten hätte, damit er mal ein bisschen runterkam.
»Erik Hunt?«, fragte er, nachdem er sie in sein Büro geführt hatte. Nach dem kurzen Weg konnte sich Chess die nervösen Ticks schon besser erklären; wenn sie jeden Tag stundenlang diesem Lärm und der Atmosphäre von Furcht, Tod und Panik ausgesetzt gewesen wäre, wäre sie auch mit den Nerven am Ende. War sie natürlich auch so, aber verdammt noch mal, dieser Ort war wirklich grauenhaft.
»Der war jetzt so ungefähr sechs Monate bei uns. Netter Kerl. Guter Manager. Ich meine, die Angestellten mochten ihn und ich auch. Keine Ahnung, warum er auf einmal einfach nicht mehr zur Arbeit gekommen ist, wo er doch sonst immer so engagiert war. War immer überpünktlich da, ist immer länger geblieben, das ganze Programm.«
Er untermalte seine Worte mit Ärmelzupfen, Nasenjucken und Händereiben.
»Und bei der Einstellung, hat er Ihnen da ein Ausweisdokument vorgelegt?«
»Natürlich! Selbstverständlich hat er das.« Carlyle wandte sich der Front aus Aktenschränken hinter sich zu, die von der gleichen nüchternen Farbe waren wie die in der Kirchenbibliothek. »Wir halten uns hier strikt an die Vorschriften der Kirche, von der Einstellung bis zum Betriebsablauf. Hier.«
Chess streckte die Hand nach dem Hefter aus, den er auf die papierübersäte Schreibtischplatte legte, aber Lauren war schneller und blätterte eifrig durch die Schriftstücke.
Okay. Chess hatte da sowieso noch ein paar Fragen. »Was für Kirchenvorschriften? Abgesehen vom Einstellungsverfahren, meine ich.«
Carlyle zuckte die Achseln und zupfte sich an den Ohrläppchen. »Wir halten uns natürlich in puncto Schlachtvorschriften ganz an die Kirchengesetze, unterhalten einen Ritualraum lür das Geisterwoehen-Fleisch und Hunde und ...«
»Hunde? Wie meinen Sie das?«
Lauren warf ihr einen Seitenblick zu; Chess bemerkte ihren missbilligenden Blick, ging aber nicht darauf ein.
»Naja, Miss ... Putnam? ... wie alle Schlachthöfe sind wir verpflichtet, eigene Psychopomps zu halten und darüber hinaus gesegneten Boden für ihre Erschaffung bereitzuhalten, falls nötig. Das kommt nur ein paarmal im Jahr vor, aber in der Geisterwoche natürlich ...«
»Genau, da haben Sie einen Extraraum. Und da halten Sie Psychopomps?« In ihrem Kopf drehte sich alles.
»Na klar. Ist vermutlich nicht Ihr Fachgebiet, aber wir dürfen in dieser Woche gar nicht schlachten, ohne einen Psychopomp im Hintergrund ...«
»Wer war dafür verantwortlich? Für die Psychopomps, meine ich. War es Va ... Hunt? Oder macht das jemand anders?«
Lauren öffnete den Mund, aber Carlyle kam ihr zuvor. »Ja, das fiel auch in seinen Aufgabenbereich.«
»Damit ist so weit alles in Ordnung«, unterbrach Lauren und gab Carlyle die Personalakte zurück. Chess hatte nicht einen einzigen Blick hineinwerfen können, aber Lauren schien das egal zu sein und ihr ehrlich gesagt auch. Wen kümmerte es schon, was für einen Ausweis Vanhelm vorgelegt hatte? Er hatte hier mit Psychopomps gearbeitet. Er war für sie verantwortlich gewesen. Mit anderen Worten: Er kannte sich mit so was aus.
Also ignorierte sie Laurens bösen Blick. »Können wir uns diesen Raum mal ansehen?«
»Natürlich.«
Carlyle brauchte einen Augenblick, um den Schlüssel zu finden - offenbar war er genauso zerstreut, wie er nervös war, auch wenn Chess nicht umhinkam, sich zu fragen, ob ein Teil seiner Zappeligkeit nicht auch daher kam, dass sie beide da waren -, dann führte er sie über eine eiserne Rampe durch die Schlachthalle zum Ritualraum.
Als sie dort ankamen, dröhnten ihr die Ohren, und ihr ganzer Körper fühlte sich kalt und klebrig an. Das lag nicht nur an der Furcht, dem Sterben und dem Schmerz; wenn sie ehrlich war, musste sie sogarzugeben, dass die Schlachthalle nicht so schlimm war, wie sie geglaubt hatte. Laut, ja, aber nicht unerträglich.
Aber irgendetwas anderes lauerte hinter alldem hier. Sie kam nicht dazu, darüber nachzudenken, was es war, aber sie spürte, wie es sich träge in der Luft wand. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Es fühlte sich nicht nach den Lamaru an; dafür fehlte das finstere, fast wahnsinnige Element. Es hatte nicht den gleichen Geschmack nach lauerndem Bösen.
Aber trotzdem war da etwas, und sie wusste nicht, was, obwohl es irgendeine Erinnerung in ihr wachrief, die sich ihr immer wieder entzog.
»Da wären wir«, sagte er, stieß die dicke, schwer aussehende Eisentür auf und führte sie
Weitere Kostenlose Bücher