Geisterstadt
der Wand. Die Hitze hatte sie zur Explosion gebracht. Rauch quoll durch die Öffnungen.
Scheiße! Große Riesenscheiße, weil ein paar von den Glassplittern gar nicht mal so klein waren. Ein besonders großes, scharfes Stück blitzte auf, als einer der Geister es in die Höhe riss; sie versuchte beiseitezuspringen, schaffte es aber nicht ganz. Ein Schnitt am rechten Arm erinnerte sie daran - als ob sie das nötig gehabt hätte -, wie man für schlechte Reflexe bestraft wurde.
Hey, Blut würde doch helfen, den Kreis zu schließen, oder? Ja. Immer schön positiv denken. Die optimistische Chess, die sich immer ganz sicher war, dass am Ende alles gut werden würde.
Sie warf sich auf den Schreibtisch und versprühte unterwegs weiter Salz. Der Anfang des Kreises befand sich am Boden links von Lauren; sie musste ihn jetzt nur noch schließen, damit die Geister gefangen waren und sie sie markieren konnte.
»Ich rufe euch!«, rief Lauren. Völlig überrascht ging Chess mit einem schmerzhaften Aufprall zu Boden, den sie allerdings kaum bemerkte. Auf einen blauen Fleck mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Viel wichtiger waren die sich erhebenden Schädel und die von glänzenden schwarzen Fe-dem bedeckten Körper, die sich in der Luft formten. Ihr wurde schlagartig kalt, kälter noch als eben beim Fangenspielen mit den Geistern.
»Lauren, was soll die Scheiße? Der Kreis ist noch nicht...«
Zu spät.
Die Raben erhoben sich in die Luft, stießen schrille Todesschreie aus und brachten Chess’ Stimme zum Verstummen. Der Kreis war noch nicht geschlossen. Die Geister waren nicht gekennzeichnet. Die Psychopomps konnten sich also auf jede Seele im Raum stürzen.
Schwere Schwingen wirbelten den Rauch auf. Chess’ Augen brannten und tränten. Sie wollte nicht husten, um nicht die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, aber sie konnte sich nicht beherrschen. Flammen fraßen sich in die Decke des Büros.
»Benchitak! Benchitak!«, schrie Lauren, Worte der Macht, die Chess nicht kannte, die aber eine weitere Welle von Laurens hässlicher, starker Energie über sie hinwegrasen ließ. Konnte sie die Raben so kontrollieren, nur mit ihrer Macht?
Zwei von den Geistern verschwanden in dem ausgefransten Loch zwischen den Welten, das durch Laurens Ritual geöffnet worden war; die übrigen Raben umflatterten die anderen drei und peitschten die Luft mit den Flügeln. Die Geister versuchten, den Rückzug durch die Wände anzutreten, aber die Salzlinie hielt sie, wiewohl unvollständig, lange genug auf, damit die Raben sie erwischen konnten. Den dritten Geist schnappten sie sich mit vereinten Kräften.
Chess entspannte sich. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich verkrampft hatte und wie fest sie schon damit gerechnet hatte, dass die Raben sie packen und mit sich fortreißen würden.
Kirchenmagie. Auf die Kirchenmagier war immer noch Verlass.
Fühlte sich gut an.
Die Vulkanhitze, in der sie stand, fühlte sich allerdings weniger gut an, und das Gleiche galt für die wunde Kehle, die trockenen, juckenden Augen und das Haar, das ihr an Stirn und Wangen klebte. Es war höchste Zeit, dass sie hier rauskamen, bevor alles über ihnen zusammenkrachte und sie begrub.
Sie hatte nahe an der Wand gestanden - zu nahe. Das Ding konnte jeden Augenblick wie eine Geisterwochen-Puppe in Flammen aufgehen und sie mitreißen.
Lauren starrte immer noch ihren Psychopomps hinterher und beobachtete ihr Verschwinden durch das Loch zwischen den Welten so gebannt, dass Chess sich einen Moment lang fragte, ob ihre Kollegin nicht durch irgendein geistiges Band mit den Tieren verbunden war. Sie selbst hatte das auch schon einmal mit Vögeln gemacht, erst vorigen Monat. In der Nacht, als Terrible ...
Nein. Nein, auf gar keinen Fall. Das Letzte, was sie jetzt brauchte, waren wieder diese Gedanken. Nicht, wenn sie selbst dem Tod so nahe war, dass sie seinen heißen, rußigen Atem schon riechen konnte und nur ihre Angst vor der Stadt der Toten - und ihre bockige Weigerung, sich von den Lamaru, diesen schleimigen Arschgesichtern, besiegen zu lassen - sie davon abhielt, einfach zusammenzubrechen und sich dem Sensenmann zu ergeben.
Dieser Gedanke elektrisierte sie mehr als alles andere. Sie packte Lauren am nassen Ärmel - natürlich war sie nicht als einzige schweißgebadet - und zog.
»Wir müssen zusehen, dass wir hier rauskommen. Los, ich hab noch keine weitere Explosion gehört.«
»Ich hol nur schnell meine ...«
»Was?« Chess senkte
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