Geisterstunde
einen halben Meter größer als ich. Und hundert Pfund schwerer. Trotz ihres Alters hätte sie mich locker übers Knie legen und in der Mitte durchbrechen können. Vorausgesetzt, ich hätte mich nicht gerührt und zugelassen, daß sie mich in die Finger bekam.
»Ihr seid der Neue?« grummelte sie, als ich hereinmarschierte.
»So isses. Sexton, Mike Sexton.«
»Ihr Name ist Schall und Rauch, wenn Ihr nach heute mittag nicht rechtzeitig zum Essen auftaucht, Jüngelchen. Setzt Euch.« Sie deutete auf einen Stuhl. Ich verkniff mir jedes Widerwort und hockte mich an einen Tisch, der zu drei Vierteln mit gebrauchten Haushaltsgeräten und Steingutgeschirr bedeckt war. Peng! Sie knallte mir einen Teller vor die Nase.
»Haben Sie auch unter dem General gedient?«
»Klugscheißer, was? Wollt Ihr essen? Dann langt zu. Und spielt hier nicht den Clown.«
»Schon gut. Wollte nur ein bißchen Konversation machen.«
Ich beäugte den Teller. Ich erkannte nichts von den Sachen, die sich da auf einer Kelle Reis in einer schleimigen Soße türmten und kostete es mit derselben Vorsicht, mit der ich das Zeug probierte, das bei Morpheus serviert wird. Das ist das einzige vegetarische Restaurant der Stadt, und es wird von einer sehr gemischten Klientel besucht.
»Wenn ich Unterhaltung brauche, sage ich Bescheid. Seht Euch um. Sieht es hier aus, als könnte ich meine Zeit damit vergeuden, meine Kinnmuskeln zu strapazieren? Ich schmeiß den Laden allein, seit sie Candy gefeuert haben. Seitdem liege ich dem alten Geizkragen in den Ohren, daß ich noch einen Handlanger brauche. Glaubt Ihr, er hört auf mich? Von wegen! Er denkt nur daran, zwei Taler pro Woche zu sparen.«
Ich nahm einen Bissen davon, probierte das. Es schienen Muscheln und Pilze und eine Menge Sachen zu sein, die ich nicht identifizieren konnte. Aber es schmeckte alles ausgezeichnet.
»Das ist hervorragend«, sagte ich.
»Was für eine Küche seid Ihr denn gewohnt? Das ist der letzte Fraß. Ohne Küchenhilfe fehlt mir die Zeit, die Sachen ordentlich zuzubereiten.« Wütend warf sie Töpfe in ein Spülbecken, so daß das Wasser hoch aufspritzte. »Ich schaffe es kaum, rechtzeitig bis zur nächsten Fütterung alles vorzubereiten. Glaubt Ihr etwa, daß diese Freßsäcke den Unterschied merken? Man könnte ihnen heißes Sägemehl vorsetzen, sie würden es ohne Knurren herunterschlingen.«
Vielleicht. Aber der alte Dean kochte schon lange für mich. Seitdem hatte ich gelernt, einen guten Happen zu erkennen, wenn ich einen zwischen die Zähne bekam. »Wieviel Mägen müßt Ihr denn versorgen?«
»Achtzehn. Mich eingeschlossen. Ist ‘ne ganze Armee. Was kümmert’s Euch, Mr. Neunzehn, ob Ihr der Tropfen seid, der das Faß zum Überlaufen bringt?«
»So viele? Die Hütte hier kommt mir fast wie ein Geisterhaus vor. Ich habe den General zu Gesicht bekommen, Dellwood, Euch und einen alten Knaben, der den Kamin im Arbeitszimmer des Generals geschürt hat.«
»Kaid.«
»Und zwei Frauen. Wo ist der Rest? Auf einem Manöver?«
»Ihr seid ein richtiger Klugscheißer, was? Wo habt Ihr zwei Frauen gesehen? Hat dieser Mistkerl Harcourt schon wieder eines seiner Flittchen reingeschmuggelt? Verdammt.
Hoffentlich. Hoffentlich hat er es getan. Ich habe dem Alten geraten, ihn für ein Jahr zum Küchendienst abzukommandieren. Und dieses Sodom auszuräuchern. Was macht Ihr überhaupt hier? Wir haben seit zwei Jahren keinen Neuen gehabt. Und keinen ehrlichen Gast seit mindestens anderthalb Jahren gesehen. Nur Durchreisende aus der Oberstadt, die ihre Nasen so hoch hielten, als müßten sie sich nicht wie alle anderen auch zum Scheißen hinhocken.«
Sie war eine Wucht! »Um die Wahrheit zu sagen, Miss …« Sie dachte gar nicht daran, den Köder zu schlucken. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht genau. Der General hat nach mir geschickt. Sagte, er wollte mich engagieren. Aber er hatte einen Anfall, bevor er genauer …«
Sie schmolz dahin. Ihre Giftdrüsen waren in zwei Sekunden ausgetrocknet. »Wie schlimm war es? Vielleicht sollte ich lieber nachsehen …«
»Dellwood kümmert sich schon darum. Er meinte, der General brauchte Ruhe. Habe sich überstrapaziert. Dieser Harcourt … Schleppt er gewöhnlich Frauen hier an?«
»Seit ein paar Jahren macht er das nicht mehr. Warum stellt Ihr all diese Fragen? Es geht Euch einen feuchten Kehricht an, was wir machen und mit wem wir das tun.«
Plötzlich klingelte es bei ihr. Sie erstarrte, trat dann von der Spüle weg, drehte sich
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