Geisterzorn: Der Fluch von Lost Haven (German Edition)
oben im Arzneischrank nach, was es noch gibt.
Das ist es!
Totsaufen. Mir gefiel dieses Wort. Also wiederholte ich es im Gedanken.
Totsaufen.
Totsaufen.
Das war im diesem Moment der schönste Augenblick für mich.
Es endlich hinter mich bringen. Endlich das tun, was ich schon längst hätte tun sollen.
Totsaufen.
Es gab nur noch mich und die Flasche.
Ich setzte sie an meine Lippen. Es war ein perfekter Moment.
Alle Probleme, alle Ungerechtigkeiten und Ängste würden sich schlagartig in Nichts auflösen.
Doch irgendetwas störte mich plötzlich.
Jemand rief meinen Namen. Zuerst glaubte ich an eine Halluzination.
Aber es war keine.
Jemand war hier.
Mit der Flasche vor dem Mund schaute ich mich um.
Elizabeth stand in der Küchentür.
Ich erstarrte in meiner Haltung. Mit weit aufgerissenen Augen glotzte ich sie an.
Sie musterte mich und die Flasche abwechselnd mit strengem Blick. Dann sah sie sich ruhig die Zerstörung an, die ich angerichtet hatte.
Wie war sie hier hereingekommen?
Ich habe die Verandatür offenstehen lassen.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, wie ich wie gelähmt vor meiner Nachbarin Elizabeth Trelawney neben einem Trümmerhaufen in meiner Küche stand und sie ideenlos anstarrte.
Elizabeth wirkte wenig schockiert. Eigentlich wirkte sie kein bisschen schockiert.
Wie eine Wissenschaftlerin, die eine akademische Fragestellung zu verstehen und zu analysieren versucht, sah sie sich die erbärmliche Szenerie an, die ich aufführte.
Schließlich trat sie aus der Tür hervor, stakste über die Reste des zertrümmerten Stuhls und kam direkt vor mir zum Stehen. Ich dagegen verharrte unverändert in meiner Haltung.
Prüfend sah sie erst mich an. Dann griff sie geschwind nach der Flasche, ging zum Spülbecken und schüttete den Alkohol aus. Die ganze Zeit, in der die kristallklare Flüssigkeit plätschernd im Ausguss verschwand, sah ich tatenlos zu.
Nachdem die Flasche geleert war, hielt Elizabeth sie sich mit vergrößertem Abstand vors Gesicht und las das Etikett.
Verstimmt sah sie wieder zu mir und deutete mit dem Zeigefinger darauf: »Das«, sagte sie laut, »ist Scheißdreck!«
Ich konnte ihr nicht widersprechen.
Elizabeth hatte noch nie in meiner Gegenwart geflucht.
»Das war das Billigste, was sie da hatten«, sagte ich schuldbewusst.
Meine Nachbarin lächelte verhalten, dann wurde sie wieder ernst. »Jack! Was ist nur los mit Ihnen?«
Was sollte ich darauf antworten?
»Sie wollten sich doch heute um meinen Garten kümmern! Den Rasen das letzte Mal für dieses Jahr mähen. Wir waren vor einer halben Stunde verabredet. Haben Sie das vergessen?«
Ja, hatte ich, aber ich antwortete: »Nein.«
Elizabeth sah sich den demolierten Schrank an, der mir der Rückseite nach oben lag. »Das wäre alles nicht passiert, wenn Sie auf mich gehört hätten, Jack.«
»Ich weiß.«
»Also? Kommen Sie jetzt rüber?«
Jetzt war ich es, der auf die Überreste des Schranks sah und sagte: »Ich glaube nicht, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Ich denke...«
»Ach, papperlapapp! Sie kommen jetzt rüber! Die Scherben werden Ihnen schon nicht davonlaufen. Oder?«
»Vermutlich nicht.«
»Also los! Marsch, marsch!«
Sie schob mich aus der Küche, wartete bis ich mir etwas Passendes angezogen hatte und dirigierte mich nach draußen auf ihr Grundstück.
Jack trifft eine Entscheidung
1
Elizabeth hätte mir auch genauso gut mit einem Spaten auf den Kopf hauen können. So wie ich mich nach ihrem Überraschungsbesuch fühlte, kam es auf dasselbe hinaus.
Mir war, als ob mein Kopf in einer Käseglocke steckte, in dem die Luft immer dünner wurde.
Alles um mich herum kam nur gefiltert und bruchstückhaft bei meinen fünf Sinnen an.
Gedankenlos mähte ich schließlich den Rasen.
Hatte ich ihre geliebte Rosenstelle umschifft? Hatte sie mich darauf hingewiesen, an jener Stelle besonders vorsichtig zu sein?
Ja, vermutlich hatte sie es getan. Und ja, vermutlich hatte ich die Stelle sorgfältig umfahren. So wie jedes Mal. Ich konnte mich jedenfalls nicht mehr erinnern.
Nach getaner Arbeit setzten wir uns zusammen auf ihre Veranda. Es war eigentlich ein schöner Tag. Wir redeten nur wenig. Bewusst vermieden wir das Thema Geister. Elizabeth hatte mir ohnehin schon alles zu dem Thema gesagt, was ich wissen musste, es jedoch ignoriert hatte.
Doch wie sollte es jetzt weitergehen? Ich hatte zu Beverly gesagt, ich könnte mit dem Spuk leben, nicht jedoch mit dem Sterben anderer. Aber
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