Gejagte der Nacht
anderen Nacht hätte Levet es genossen, dass sie ihn so heftig verteidigte. Und weshalb auch nicht? Er hatte jeden möglichen Trick ausprobiert, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und war fortgeschickt, verlassen und vergessen worden.
Heute Nacht jedoch war er auf brutale Weise an seine zahlreichen Unzulänglichkeiten erinnert worden. Mit einer Grimasse sah er an seinem verkümmerten Körper herab. »Sieh mich doch nur an.«
»Ich habe dich angesehen«, versicherte sie ihm. »Mehr als einmal.«
Er hob den Kopf und starrte sie stirnrunzelnd an. »Wenn ich einer meiner Brüder wäre, würden sie mich um meine Hilfe anflehen. Ich wäre ein mächtiger Krieger mit Zauberkräften, die selbst den Fürsten der Finsternis vor Angst erzittern lassen würden.«
Yannah trat langsam auf ihn zu, die Hände gefaltet und in Mondlicht gebadet. Trotz ihrer geringen Größe wirkte sie so majestätisch wie jede Königin.
»Nein, Levet«, erwiderte sie. Ihre Stimme klang ungewöhnlich ernsthaft. »Wenn du einer deiner Brüder wärest, hieltest du Winterschlaf in deinem Versteck, um deine Treue der Person anzudienen, die den Krieg gewinnt.«
Das war alles andere als das, was Levet erwartet hatte, und sein Selbstmitleid fiel urplötzlich so gründlich in sich zusammen wie ein Ballon, in den man eine Nadel bohrte.
Yannah hatte recht. Allen Gerüchten zufolge hatten sich seine Brüder unter die Straßen von Paris zurückgezogen und ignorierten Styx’ Aufruf an die Dämonen, sich dem Fürsten der Finsternis zu widersetzen. Wie Ratten, die von einem sinkenden Schiff flohen. Gargylen waren berüchtigt dafür, sich jeder Person zu beugen, die auf dem Thron saß. Loyalität gehörte nicht zu ihrem Wortschatz.
»Ich vermute, das ist wahr«, stimmte er langsam zu.
Yannah streckte die Hände aus und legte sie ihm auf die Schultern. Sie war ihm nun so nahe, dass er spüren konnte, wie ihre Macht um ihn herumpulsierte.
»Darüber hinaus verfügst du über eine Waffe, die von weitaus größerer Bedeutung ist als Muskeln oder Magie.«
Levet stellte fest, dass er sich in der unwiderstehlichen Schwärze ihrer Augen verlor. »Welche Waffe?«
»Ein Herz.« Sie legte ihm die Hand mitten auf die Brust. »Die einzige Macht, die nicht von dem Bösen besiegt werden kann.«
KAPITEL 24
Das Gefängnis des Fürsten der Finsternis
G aius hatte den instinktiven Überlebenstrieb, über den jedes Wesen verfügte, ernsthaft unterschätzt.
Er war überzeugt gewesen, keinen Grund zur Hoffnung mehr zu haben. Nichts mehr erwarten zu können außer bitterer Reue und endlosen Tagen, erfüllt von dem Wunsch nach einem schnellen Tod, welcher ihn endlich wieder mit Dara vereinte.
Aber als der Fürst der Finsternis seine Aufmerksamkeit der Erschaffung weiterer Risse zugewandt hatte, hatte Gaius festgestellt, dass seine Füße ihn vorwärtstrugen, und sich in der gottverlassenen Umgebung auf die Suche nach einem Fluchtweg begeben.
Es war nichts anderes als eine frustrierende Zeitverschwendung, ganz zu schweigen davon, dass seine Versuche vollkommen vergeblich waren.
Obgleich er noch immer sein Medaillon besaß, stellte er fest, dass es seinen Befehlen nicht mehr gehorchte. Das war keine große Überraschung. Der Fürst der Finsternis war nicht dumm und wusste, dass Gaius bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm bot, fliehen würde.
Und obschon er die Durchgänge erkannte, die diese Frau gewaltsam in dem Schleier geöffnet hatte, und gelegentlich den Geruch von Dämonen wahrnahm, die danach trachteten, die Öffnungen zu benutzen, um aus den Abgründen ihrer Höllendimension zu strömen, war er nicht in der Lage, sich hindurchzuzwängen.
Womöglich bestand darin seine Bestrafung.
Dass er gemeinsam mit dem Fürsten der Finsternis gefangen war und sich dabei die ganze Zeit der Tatsache bewusst war, dass die Freiheit direkt außerhalb seiner Reichweite wartete.
Es erschien ihm passend.
Gaius, der neben einem verkrüppelten Baum stand, zuckte zusammen, als eine auflodernde Hitze ihm die Haut versengte und ihm das Fleisch von den Knochen zu schmelzen drohte.
»Gaius.«
Er wollte sich nicht umdrehen. Nicht nur weil er genug davon hatte, von dem Fürsten der Finsternis verhöhnt zu werden, sondern auch weil es ihm Übelkeit verursachte zu sehen, wie der sonderbare Geist um diesen herum flackerte.
Aber was er wollte oder nicht wollte, spielte keine Rolle mehr, seit er seine Seele verschachert hatte.
Mit langsamen Bewegungen schritt er um den abgestorbenen
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